Im Interview mit MEDICA.de erklärt Prof. Wilhelm Stork, wie EmergencyEye in Notfallsituationen helfen kann, warum Telemedizin generell so wichtig ist und inwiefern Deutschland bei der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung noch hinterherhinkt.
Prof. Stork, welcher Grundgedanke steht hinter EmergencyEye?
Prof. Wilhelm Stork: EmergencyEye ist eine Projektidee, die zum Forschungsvorhaben RAMSES (Remote Access to Medical Information on Smartphones during Emergencies and Health Crisis) gehört, welches von der EU im Rahmen des EIT-Health Programms gefördert wird und an dem Problem der enormen Todesraten bei plötzlichem Herztod ansetzt. Der Gedanke dahinter ist folgender: Wenn in einer Notfallsituation der Notruf gewählt wird, dann schildert der Anrufer dem Disponenten am anderen Ende der Leitung die Lage lediglich mündlich über das Telefon. Kommt der Disponent aufgrund der Schilderung zur Überzeugung, dass eine Reanimation notwendig ist, versucht er dem Ersthelfer telefonisch Anweisung zu geben, was zu tun ist. Diese rein sprachliche Kommunikation funktioniert aber in der Praxis nicht gut, was die hohen Todesraten von etwa 90 Prozent zeigen. Nun hat mittlerweile fast jeder ein Smartphone mit einer eingebauten Kamera. Diese kann also dazu verwendet werden, dem Disponenten die Situation nicht nur zu erklären, sondern sogar direkt zu zeigen. Dieser wiederum kann dem Ersthelfer dann interaktiv sehr viel besser erklären, was zu tun ist.
Wie funktioniert das genau?
Stork: Sobald ein Ersthelfer mit seinem Smartphone den Notruf wählt und mit dem Disponenten ins Gespräch kommt, wird seine Nummer an die Notfallleitstelle übertragen. Per SMS wird dann eine URL zurückgeschickt, mit der eine App heruntergeladen werden kann. Der Nutzer muss nun nur erlauben, dass diese App installiert werden darf. Die App schaltet schließlich die Kamera ein und erzeugt eine Videotelefonie-Verbindung mit dem Disponenten. So könnte der Ersthelfer genau zeigen, dass eine Person am Boden liegt und eventuell einen Herzstillstand hat. Unser Disponent kann dann die Situation besser einschätzen und dem Ersthelfer erklären, wie die Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden. Am besten wäre es natürlich, wenn es mindestens zwei Ersthelfer gibt, sodass einer das Smartphone mit der Kamera hält, während der andere aktiv wird.
Im Falle eines plötzlichen Herzstillstands kann der Disponent die Aktionen des Ersthelfers beobachten und korrigieren. Bei der Herzdruckmassage muss beispielsweise der Brustkorb circa acht Zentimeter eingedrückt werden, wovor die meisten Menschen sich scheuen, da sie Angst haben, den Patienten zu verletzen. Über die Kamera kann der Disponent dies dann genau beobachten und den Ersthelfer mit entsprechenden Anweisungen instruieren, dass zum Beispiel mehr Druck ausgeübt werden muss.