Versorgt das Herz den Körper nicht mit ausreichend Sauerstoff, haben Menschen oftmals Angst, sich körperlich zu stark zu belasten. Auch bei anderen Herzerkrankungen, während oder nach Krebserkrankungen oder bei orthopädischen Problemen tendieren Patientinnen und Patienten dazu, sich zu schonen. Spaziergänge oder eine Tour mit dem Rad? Lieber nicht! Doch für die Genesung ist es wichtig, den Körper adäquat zu fordern – ohne sich dabei zu überlasten. Die Frage "Wie viel darf man sich zumuten?" ist für die meisten Patientinnen und Patienten allerdings nicht so leicht zu beantworten, insbesondere wenn sie nach Klinikaufenthalt und Reha wieder mehr oder weniger auf sich allein gestellt sind.
Das "Quantified-Health-System" des Fraunhofer FOKUS kann Patientinnen und Patienten künftig dabei helfen, die richtige Balance zwischen Schonen und körperlichem Fordern zu finden. "Das Quantified-Health-System eröffnet sowohl Patientinnen und Patienten als auch dem medizinischen Personal einen steten Einblick in die Vitalwerte und den momentanen Gesundheitszustand", erläutert Anne Grohnert, Leiterin der Forschungsgruppe "Telehealth Technologies" am Fraunhofer FOKUS. Das Prinzip: Patientinnen und Patienten tragen ein handelsübliches Fitnessarmband oder eine Smartwatch, die die Vitalparameter ermitteln und an eine spezielle App auf dem Smartphone senden. Dort können Patientinnen und Patienten die Daten selbst kontrollieren: Sie sehen ihre bisherige Schrittzahl und die aktuelle Pulsfrequenz; auch können sie das Gewicht und die Blutdruckwerte eingeben. Über die App haben sie jederzeit Zugriff auf den Trainingsplan, den sie mit dem Arzt bzw. Therapeuten vereinbart haben und der eine Übersicht über die gesetzten Ziele bietet. In einem Tagebuch – ebenfalls in der App zu finden – lässt sich der aktuelle Zustand, etwa Unwohlsein, notieren. Darüber hinaus sendet die App die Daten mehrmals täglich an einen Server, wo sie statistisch aufbereitet und an den behandelnden Arzt oder Ärztin geschickt werden. Über eine passende Benutzeroberfläche auf einem Computer kann sich der Arzt oder die Ärztin die Daten auf verschiedene Weise anzeigen lassen, etwa die zeitliche Entwicklung des Pulses. Gibt es einen Ausreißer nach oben? Befand sich die Patientin oder der Patient zu diesem Zeitpunkt in Bewegung, oder lag er oder sie ruhig auf der Couch, als der Puls nach oben schnellte? Auf Basis der individuellen Daten kann er oder sie passende Aktivitätsvorschläge und Zielsetzungen verschicken, die der Patient oder die Patientin über die App abrufen kann. Etwa: Täglich bitte 7.000 Schritte laufen. Besteht darüber hinaus Kommunikationsbedarf, können Arzt bzw. Ärztin und Patient bzw. Patientin via App und Benutzeroberfläche auch per Videokonferenz miteinander kommunizieren.
Der Forschungsprototyp wurde im Projekt zuerst an die drei unterschiedlichen Indikationen (aus den Bereichen Kardiologie, Onkologie, Orthopädie angepasst. Aktuell wird er im Rahmen einer Machbarkeitsstudie durch drei medizinische Einrichtungen getestet. "Wir untersuchen u.a., inwieweit sich die Ansprüche und Anforderungen an solche Systeme bei den unterschiedlichen Indikationen unterscheiden. Dabei haben wir natürlich auch das Nutzerverhalten im Blick", sagt Grohnert. Was die Orthopädie angeht, arbeiten die Forschenden mit der Theraphysia GmbH zusammen, bei kardiologischen Fragestellungen mit der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis Sanssouci, im Bereich der Onkologie mit der Reha-Zentrum Lübben GmbH. Eine weitere Forschungsfrage: Wie lassen sich die unterschiedlichen handelsüblichen Wearables – vom Low-Price-Modell für 25 Euro bis zur Smartwatch für 400 Euro – in das System integrieren? Reicht die Datenqualität solcher Standardkomponenten aus, um sie für den medizinischen Bereich zu verwenden?
Eine Machbarkeitsstudie soll dabei helfen, diese Fragen zu beantworten. Etwa 60 Patientinnen und Patienten aus den drei Partnereinrichtungen nehmen jeweils für drei Monate daran teil. Die Auswertung der Daten ist für Oktober und November 2022 geplant. So viel kann die Forscherin jedoch jetzt schon sagen: "Wir haben das Stimmungsbild bei Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten, sowie Patientinnen und Patienten eingefangen: Das System wird überwiegend als gut, nützlich, hilfreich und anregend eingestuft; auch die Bedienbarkeit wird gut bewertet. Kurzum: Die Patientinnen und Patienten nehmen es gut an – schließlich haben sie weiterhin einen direkten Kontakt zu Therapeutinnen und Therapeuten, der sonst in dem Maße nicht stattgefunden hätte«, sagt Grohnert.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft