Würzburg untersuchte das HIRI-Forscherteam um Saliba gemeinsam mit Prof. Lars Dölken, wie sich die Genaktivität nach einer Infektion mit dem Zytomegalievirus innerhalb einzelner infizierter Mauszellen verändert.
Mit der Einzelzell-RNA-Sequenzierung (scRNAseq), ist es möglich zu bestimmen, welche Gene einer Zelle gerade aktiv sind, jedoch können kurzfristige Änderungen von Genaktivitäten, wie sie etwa bei einer Virusinfektion auftreten, nur sehr begrenzt aufgespürt werden. Somit blieb bisher unklar, wie einzelne Zellen auf äußere Einflüsse reagieren. Um die molekularen Vorgänge innerhalb einzelner infizierter Zellen zu untersuchen, entwickelten die Forscher nun eine neue Methode namens scSLAM-seq, mit der sie erstmals sichtbar machen können, welche Gene wie stark in einzelnen Zellen innerhalb weniger Stunden aktiviert werden. Wird ein Gen aktiviert, wird sein Code in RNA (englisch: ribonucleic acid) übersetzt. Die RNA besteht aus vier unterschiedlichen Bausteinen, den organischen Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil. Diese sind wie auf einer Kette aufgereiht, und zwar in einer für das Ursprungsgen charakteristischen Kombination. Die RNA-Kette dient dann als Vorlage für die Herstellung eines Proteins, das eine bestimmte Funktion innerhalb der Zelle erfüllt.
Um unterscheiden zu können, welche RNA vor der Virusinfektion bereits vorhanden war und welche neu hinzugekommen ist, bedienten sich die Forscher eines Markierungstricks: Sie fügten zeitgleich mit dem infizierenden Virus eine im Vergleich zur natürlichen Variante chemisch leicht veränderte Form des RNA-Bausteins Uracil zum Nährmedium der Zellen hinzu. Die Zellen bauten daraufhin das markierte Uracil in ihre neu hergestellte RNA ein. Über eine chemische Reaktion wurde das markierte Uracil in einen anderen RNA-Baustein, nämlich Cytosin, umgewandelt. "In der RNA-Sequenz befindet sich dort, wo eigentlich Uracil eingebaut sein sollte, dann stattdessen Cytosin", erklärt Dölken. "Die Idee, die dahintersteckt: Die RNA, die nach der Virusinfektion hergestellt wurde, besitzt nun eine Markierung, mit der wir sie bei der anschließenden RNA-Sequenzierung als neu identifizieren können." Mithilfe eines komplexen bioinformatischen Verfahrens untersuchten die Forscher die RNA jeder einzelnen Zelle, ordneten sie über 4000 bekannten Genen pro Zelle zu und trennten sie in neue und alte RNA auf. "Die Daten, die wir mit dem scSLAM-seq-Verfahren erheben können, sind spektakulär", sagt Erhard. "Wir können tatsächlich für jede einzelne Zelle feststellen, wie viel Prozent ihrer RNA innerhalb von zwei Stunden nach einer Störung – in diesem Fall einer Virusinfektion – neu hergestellt werden. Damit sind erstmals Dosis-Wirkungs-Analysen auf Einzelzellebene möglich." Insgesamt untersuchte das Forscherteam die RNA von 100 Einzelzellen. "Das war bereits ausreichend, um einen gänzlich neuen Einblick in die zelluläre Genaktivierung zu bekommen", sagt Saliba. "Mittels scSLAM-seq können wir nun erstmals präzise analysieren, wie eine einzelne Zelle innerhalb eines kurzen Zeitfensters auf eine Störung wie etwa eine Virus- oder Bakterieninfektion reagiert, welche Gene in der Folge vermehrt oder vermindert abgelesen werden, und so nachvollziehen, welchen Schlachtplan sie im Kampf gegen den Eindringling vorbereitet hat."
Mit dem zum Patent angemeldeten bioinformatischen Analyse-Verfahren, das zur Auswertung der hochkomplexen experimentellen Daten nötig ist, konnten die Würzburger Forscher grundlegend neue Einblicke in zelluläre Abläufe gewinnen. "scSLAM-seq eignet sich hervorragend für Knock-Out-Untersuchungen, um herauszufinden, welche Gene für die Bekämpfung von Krankheitserregern oder bei der Entstehung von Erkrankungen eine Schlüsselrolle spielen", sagt Saliba. "Es ist methodisch einfach, die Datenqualität ist hoch und ideal für Dosis-Wirkungs-Untersuchungen, auch über die Zeit."
MEDICA.de; Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung