"Es ist wichtig, dass alle Patienten gut versorgt sind und eine wirksame Therapie erhalten. Dafür ist eine neurologische Mitbetreuung der Patienten ratsam", erklärt PD Dr. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). "Die neuen Antikörper stellen gerade für die Patienten eine segensreiche Erweiterung des Therapiespektrums dar, bei denen die herkömmlichen Migränemedikamente nicht vertragen wurden, wirkungslos blieben oder bei denen sie aus medizinischen Gründen nicht verschrieben werden dürfen."
Standard der medikamentösen Migräne-Prophylaxe waren und sind Betablocker, die nicht bei Menschen mit Herzinsuffizienz, Herz-Rhythmusstörungen oder Asthma eingesetzt werden sollten, Kalziumkanal-Blocker, bei denen Schwangerschaft und Depression als Kontraindikationen gelten, Antikonvulsiva, die u.a. nicht bei Leberfunktionsstörungen oder Niereninsuffizienz verschrieben werden dürfen, und das Anti-Depressivum Amitriptylin, das nicht bei Herzinsuffizienz, grünem Star oder gutartiger Vergrößerung der Prostata eingesetzt werden sollte. Die Behandlung mit Botulinumtoxin, die noch relativ neu ist und nur bei Patienten mit chronischer Migräne zur Prophylaxe angezeigt ist, kann nicht bei Menschen mit Myasthenia gravis, einer autoimmun vermittelten Muskelschwäche, verschrieben werden.
"Viele Patienten sind aber gut mit den herkömmlichen Therapien einzustellen und erleiden unter der Medikation deutlich weniger Migränetage. Es macht daher wenig Sinn, diese Patienten auf neue Präparate umzustellen, nur, weil sie neu sind. Im Vergleich zu den herkömmlichen Therapieoptionen sind die Antikörper nicht wirksamer, verschaffen also prinzipiell nicht mehr anfallsfreie Tage als die herkömmlich eingesetzten Medikamente, auch addieren sich die Wirkungen von verschiedenen Substanzklassen nicht auf", erklärt Professor Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. Darüber hinaus haben die neuen Antikörper das Manko, dass fast ein Drittel der Migränepatienten von vornherein gar nicht auf sie ansprechen. Bei den Patienten, die darauf ansprechen, wirkten sie aber sehr gut und seien auch gut verträglich. Das haben die Zulassungsstudien gezeigt.
DGN und DKMG haben nun gemeinsam eine Ergänzung der bestehenden S1-Leitlinie "Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne" erstellt, die einen vernünftigen Einsatz der neuen Substanzklasse empfiehlt. "Wir Mediziner möchten den Menschen helfen, aber wir unterliegen auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dürfen Patienten keine teuren Therapien verschreiben, wenn günstigere einen ebenso guten Effekt haben oder die teuren im Einzelfall nicht einmal wirken. Wir haben daher diese Handlungsempfehlung mit Augenmaß entwickelt, die sicherstellt, dass jeder Patient eine wirksame Therapie erhält, die aber gleichzeitig einen schonenden Umgang mit den Ressourcen ermöglicht", erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Grundlegend dafür sei die richtige Auswahl der Patienten, die zeitnahe Beurteilung des Therapieerfolgs sowie die Einschränkung der Behandlungsdauer. "Nach sechs bis neun Monaten sollte die Antikörpertherapie pausiert und eine Fortführung erst wieder erwogen werden, wenn sich eine Verschlechterung einstellt", so der Migräneexperte Professor Diener.
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.