Nach 12 Jahren Forschung zu grundlegenden Fragen zum Hören mit Licht ist die Hörforschung am Göttingen Campus um Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), auf dem Weg zur Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats in Richtung klinische Anwendbarkeit. In Zusammenarbeit mit einem von Dr. Patrick Ruther geleiteten Team von Ingenieuren des Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg konnte ein für Langzeituntersuchungen geeignetes optisches Cochlea-Implantat System mit integrierten Mikro-Leuchtdioden (µLEDs) entwickelt werden. Im Tiermodell der menschlichen Schwerhörigkeit stimuliert dieses System den zuvor gentechnisch lichtempfindlich gemachten Hörnerv zielgenau mit optischen Pulsen. Das System ist viel kleiner und leichter als das klinisch genutzte CI und kann daher auch bei Nagetieren eingesetzt werden. Die Wissenschaftler sind noch einen wichtigen Schritt weiter gegangen und zeigen anhand von Verhaltensexperimenten, dass das optische CI tauben Nagetieren das Hören wieder ermöglicht – und das über Wochen.
Erstmals konnte die Funktionalität der neu entwickelten Cochlea-Implantate mit bis zu 10 µLEDs, die eine Kantenlänge von lediglich 0,25 Millimetern aufweisen, über einen Zeitraum von über einem Monat im Tiermodell getestet werden: Im Vorfeld der Experimente bekamen die Nager ein harmloses Virus injiziert, um ihren Hörnerv über molekulare Lichtschalter (Kanalrhodopsine) lichtempfindlich zu machen. Mit Hilfe von akustischen Reizen wurden die Tiere auf eine Verhaltensreaktion trainiert, danach medikamentös hörgeschädigt und mit einem optischen CI versorgt. "Erstaunlicherweise zeigten einige taube Tiere sofort das gleiche Verhalten auf das Lichtsignal wie zuvor bei normalem Hören im Training auf einen gespielten Ton. Dies könnte darauf hindeuten, dass die optische Stimulation dem natürlichen Höreindruck nahekommt", sagt Dr. Daniel Keppeler, einer der Erstautoren der Publikation und Mitarbeiter am Institut für Auditorische Neurowissenschaften, UMG.
Um diesen Entwicklungsschritt zu erreichen, mussten die LED-Sonden gut verkapselt werden. Damit sollten die empfindlichen elektronischen Bauteile vor der in der Gehörschnecke befindlichen Salzlösung geschützt werden. "Die größte Herausforderung liegt für uns in der Verkapselung der Implantate. Sie ist entscheidend für deren Langzeitstabilität im Tiermodell", sagt Dr. Michael Schwärzle, Erstautor und ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg.
Ebenso wichtig für das Gelingen der Verhaltensexperimente über mehrere Wochen war die Entwicklung eines mobilen Prozessors am Institut für Auditorische Neurowissenschaften in Göttingen. Die kleine Recheneinheit wandelt Umgebungsgeräusche über ein integriertes Mikrofon in elektrische Signale um und überträgt diese an das optische CI. In der Miniaturisierung des optischen Cochlea-Implantats für die Testung an Nagetieren lag eine weitere Herausforderung für das interdisziplinäre Wissenschaftlerteam. Es sollte möglichst leicht sein, damit die Tiere es ohne Probleme im Verhaltensexperiment tragen können. Gerade mal 15 Gramm wiegt das gesamte CI-System, das entspricht etwa einem Esslöffel Zucker.
MEDICA.de; Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität