Spenderorgane fordern das Immunsystem des Empfängers mit ihren fremden Eiweißen (Antigenen) zu einer Immunantwort heraus. Das Gewebe wird attackiert und schlimmstenfalls zerstört. Dafür produziert der Empfänger Immunzellen, die zum Teil wiederum zerstörerische Antikörper ausschütten. Um Immunreaktionen rechtzeitig zu erkennen und zu stoppen, werden nach der Transplantation Gewebeproben aus dem Spenderorgan entnommen und von Pathologen unter einem herkömmlichen optischen Mikroskop untersucht. Liegt eine Abstoßungsreaktion vor, so wird die Dosis der Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems (Immunsuppressiva), die dauerhaft von transplantierten Patienten eingenommen werden, erhöht, oder es kommen andere Medikamente zum Einsatz.
"Für die Abstoßungsdiagnostik kann auf die herkömmliche Gewebeuntersuchung auch weiterhin nicht verzichtet werden. Sie ist der Goldstandard", sagt Einecke. Doch sie zeige nur die Folgen von Immunreaktionen im Gewebe an, nicht aber deren Beginn und Mechanismus. Außerdem hängt die Qualität der pathologischen Untersuchung von der Einzel-Expertise des Pathologen ab, und das Ergebnis lasse sich nicht quantifizieren.
Genaktivitäten dagegen lassen sich genau messen. Je aktiver ein Gen ist, desto mehr Boten-RNA (messenger-RNA) produziert es. Mit Hilfe von Genmustern können die Abstoßungsreaktionen im Gewebe typisiert, ihr Risiko kann eingeschätzt werden. Und die Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten kann entsprechend justiert werden, wie Untersuchungen im Tiermodell und an Gewebematerial transplantierter Patienten gezeigt haben. So haben Dr. Einecke und ihre wissenschaftlichen Kooperationspartner an der kanadischen Universität Edmonton festgestellt, welche Gene bei frühen und späten Abstoßungsreaktionen, an denen unterschiedliche Immunzell-Typen beteiligt sind, aktiv sind.
Auch für das "Molekulare Mikroskop" müssen Gewebeproben aus dem Spenderorgan genommen werden. Das Testsystem "Molecular Microscope Diagnostic SystemR" ist bereits im Handel erhältlich und international im klinischen Einsatz. In Deutschland wird es nur innerhalb von klinischen Studien eingesetzt. "Derzeit untersuchen wir in einer großen internationalen Studie mit mehreren Zentren, wie die mikroskopische und molekulare Gewebediagnostik mit der Krankheitsentwicklung und dem Ansprechen auf eine Therapie bei Patienten korreliert", sagt Einecke. Mit Hilfe von Algorithmen können Risiken berechnet und Empfehlungen für die Therapie erarbeitet werden, die das Langzeitüberleben der Spenderorgane sichert.
MEDICA.de; Quelle: Medizinische Hochschule Hannover