Das Erbgut verändert sich im Laufe der Jahre und zu diesen Veränderungen gehören insbesondere die sogenannten Methylierungen. Dabei werden kleine Molekülbausteine, sogenannte Methylgruppen, nach und nach an bestimmten Stellen der DNA (Erbgut) angelagert. Das kann dazu führen, dass bestimmte Gene nicht mehr abgelesen werden können. Diese Veränderungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass an speziellen Stellen Genveränderungen auftreten. In der Folge können Krankheiten entstehen. Fachleute sprechen deshalb bei der Methylierung auch von einer "Verschmutzung" der DNA.
"Aber die Methylierung ist auch ein natürlicher Prozess, der bei jedem Menschen im Laufe des Lebens stattfindet", sagt Prof. Carsten Claussen vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Hamburg. Durch die Methylierung werden auch bestimmte biologische Prozesse im Körper gesteuert. Doch eine zu starke Methylierung kann zum Problem werden. "Die Methylierung ist gewissermaßen ein Gradmesser für die Alterung des Körpers", sagt Carsten Claussen. Eine entsprechende Methode zur Messung des biologischen Alters haben Carsten Claussen und seine Mitarbeiter gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT entwickelt – und daraus einen Demonstrator realisiert. Die Firma Cerascreen, die mit den Fraunhofer-Experten kooperiert, hat jetzt daraus einen Test entwickelt.
Für den Test nimmt der Anwender mit einem Wattestäbchen einen Abstrich von der Mundschleimhaut und schickt diesen an ein Labor. Dort findet eine genetische Analyse statt, die Daten über die Gene und den Methylierungszustand der DNA liefert. Diese Daten werden anschließend mit einer am Fraunhofer IME entwickelten KI-Software analysiert. Aus den Methylierungsdaten schließt die Software dann auf das biologische Alter. Erste Versuchsreihen an rund 150 Probanden zeigen, dass der Algorithmus sehr gut funktioniert. Die Schätzungen des biologischen Alters bei gesunden und fitten Menschen stimmen meist erstaunlich gut mit dem tatsächlichen chronologischen Alter der Personen.
Die Fraunhofer-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler arbeiten schwerpunktmäßig an einem künftigen medizinischen Einsatz. Bekannt ist, dass Methylierungen bestimmte Gene blockieren. Die Forscher wollen jetzt Wirkstoffe finden, die gezielt solche Methylierungen bestimmter Gene auflösen. Dadurch wollen sie an diesen Stellen den Alterungsprozess aufhalten, um die spätere Entstehung von Krankheiten zu verhindern.
"Heute gibt es riesige Datenbanken mit mehreren 1000 Wirkstoffen, die wir im Labor durchtesten wollen, um herauszufinden, ob diese bei bestimmten Methylierungen wirken", sagt Carsten Claussen. In einem zweiten Schritt sollen dann auch neue Wirkstoffe entwickelt und getestet werden.
Carsten Claussen und sein Team haben zunächst einen Algorithmus entwickelt, der in den Daten aus der Genanalyse charakteristische Gene und auch Methylierungen entdecken kann. "Der Algorithmus ist in der Lage, auch bislang unbekannte Felder im Erbgut zu finden, in denen relevante Gene stecken", sagt Claussen – also vor allem solche Gene, die aufgrund von Methylierungen möglicherweise ausfallen und somit ein Ziel für künftige Therapien sein könnten.
Das Fraunhofer FIT wiederum entwickelt eine Anwendung, die die Datenverarbeitung, die Analyse und Auswertung in einer einzigen Benutzeroberfläche vereint. "Damit wird es möglich, die genetische Information beispielsweise mit der Suche in internationalen Datenbanken und öffentlichen Listen zu verknüpfen – etwa, wenn in den Daten plötzlich ein auffälliges Gen angezeigt wird", sagt Carina Goretzky vom Fraunhofer FIT.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft