"Wir entwickeln spezielle Methoden, um einzelne gestreute Tumorzellen genetisch zu analysieren und sie gezielt zu bekämpfen", erklärt Dr. Bernhard Polzer, stellvertretender Bereichsleiter im Forschungsbereich Personalisierte Tumortherapie des Fraunhofer ITEM in Regensburg. Anhand genetischer Daten will das 40-köpfige Forschungsteam Licht in den noch unverstandenen Prozess der Metastasen-Bildung bringen und so Ansätze für neue Therapieformen finden.
Ein großes Potenzial zur Vermeidung von Metastasen sieht Prof. Christoph Klein, Leiter des Forschungsbereichs, in einer Diagnostik, welche die beginnende Metastasierung molekular und zellbiologisch verstehen lernt. Wichtige Informationen hierzu können bei der pathologischen Untersuchung von Lymphknoten gewonnen werden, die während einer Tumoroperation entfernt wurden. Um zu sehen, ob der Tumor bereits gestreut hat, werden seit mehr als hundert Jahren aus dem Lymphknoten-Gewebe an mehreren Stellen hauchdünne Scheiben herausgeschnitten, in denen der Pathologe nach Krebszellen sucht. Allerdings wird das Gewebe zwischen den Schnittebenen nicht betrachtet. Dort vorhandene Metastasen werden daher übersehen.
Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS hat das Team von Christoph Klein eine Methode entwickelt, mit der sich der gesamte Lymphknoten analysieren lässt. Zur Probenvorbereitung dient ein Tissue Grinder, ein Gewebezerkleinerer, der die Zellen schonend separiert. Danach wird die Probe mit einem speziellen Farbstoff behandelt, der die gestreuten Tumorzellen anfärbt. Zwei Millionen Lymphknoten-Zellen werden automatisch gescannt. Eine KI-basierte Bildauswertung identifiziert hochsensitiv die wirklichen Krebszellen unter jeglichen anderen gefärbten Objekten (Artefakten) wie z.B. Färbereste. "Mit unserer Methode haben wir bei der Hälfte der untersuchten Lymphknoten Tumorzellen nachgewiesen", berichtet Bernhard Polzer. "Mit dem klassischen Verfahren konnten die Pathologen dagegen nur in 15 bis 20 Prozent der Proben Krebszellen finden." Zurzeit wird das Verfahren für den Markt entwickelt.
Nach der Isolation der einzelnen gestreuten Tumorzellen muss die DNA der Zellen vervielfältigt werden. Bei der genetischen Analyse lässt sich zum Beispiel erkennen, ob die gestreuten Tumorzellen die gleichen Eigenschaften haben wie der Primärtumor und daher auf die gleiche Behandlung ansprechen könnten. Oft ist das aber nicht der Fall. Die gestreuten Zellen verändern sich, wenn sie längere Zeit in einem fremden Gewebe leben. "Wenn Brustkrebszellen im Knochenmark liegen, können sie die Eigenschaften der sie umgebenden blutbildenden Zellen annehmen", berichtet Christoph Klein. "Offenkundig passen die Zellen sich an ihre Umgebung an." In ihrem neuen Umfeld können die gestreuten Zellen aber auch neue Krebsgene aktivieren. Dann werden sie immer aggressiver und gefährlicher.
Wenn die genetische Analyse ergibt, dass sich die gestreuten Tumorzellen verändert haben, müssen sie mit anderen Mitteln bekämpft werden als der Primärtumor. Wie sich für jede jeden Patienten das geeignete Medikament finden lässt, wird von Polzer und Klein gerade erforscht. Ausgangspunkt ist eine Technologie, die bereits bei großen Zellzahlen funktioniert und jetzt für Einzelzellen adaptiert wird.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM