Bisherige Modelle für das Zusammenspiel zwischen Myosin, Aktin und dem elastischen Gerüstprotein Titin haben diese Möglichkeit bisher außer Acht gelassen. "Selbst Myosinforscher werden von den Ergebnissen überrascht sein", sagt Professor Michael Gotthardt, Leiter der Arbeitsgruppe "Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie" über die Studie, die nun in Nature Communications erschienen ist. "Damit können wir die Grundlagen der Muskelkontraktion auf molekularer Ebene besser verstehen."
Zu Gotthardts Team gehören die Erstautorinnen Dr. Franziska Rudolph und Dr. Claudia Fink, sie wurden von weiteren Kollegen am MDC und an der Universität Göttingen unterstützt. Das ursprüngliche Ziel war nicht die Bestätigung der Theorie, sondern die Charakterisierung der Proteinzusammensetzung der Z-Scheibe. Hierzu entwickelten sie ein Mausmodell mit einem künstlichen Enzym namens BioID, das sie in das Riesenprotein Titin einfügten. Anschließend markierte Titin-BioID Proteine in der Nähe der Z-Scheibe.
Das Team hat BioID erstmals bei lebenden Tieren unter physiologischen Bedingungen eingesetzt und so 450 Proteine identifiziert, die mit dem Sarkomer in Verbindung stehen. Rund die Hälfte dieser Eiweiße war bereits bekannt. Hinsichtlich der Sarkomerstruktur, Signalübertragung und Stoffwechsel entdeckte das Team auffällige Unterschiede zwischen Herz- und Skelettmuskulatur – und zwischen erwachsenen und neugeborenen Mäusen. Letzteres deutet darauf hin, dass bei adultem Gewebe Leistung und Energieerzeugung optimiert werden, während der Schwerpunkt bei Neugeborenen auf Wachstum und Umbau liegt.
Das Protein, das sie in der Z-Scheibe nicht erwartet hatten, war Myosin, welches an der gegenüberliegenden Seite des Sarkomers sitzt. Wenn ein Muskel sich bewegt, schiebt sich Myosin an Aktin vorbei und bringt benachbarte Z-Scheiben näher zusammen. Das Gleiten der Aktin- und Myosinfilamente erzeugt die Kraft, die für die Pumpfunktion des Herzens, eine aufrechte Körperhaltung oder das Heben von Gegenständen wichtig ist.
Diese sogenannte "Gleitfilamenttheorie" beschreibt die Krafterzeugung im Sarkomer und veranschaulicht das Zusammenspiel zwischen Kraft und Sarkomerlänge. Gängige Modelle haben jedoch Probleme das Verhalten von vollständig kontrahierten Sarkomeren vorherzusagen. Bei diesen Modellen wurde angenommen, dass Myosin maximal bis an die Z-Scheibe reicht, während es sich an Aktin entlangschiebt. Es gab zwar Hinweise dafür, dass Myosin sich weiter bewegt. "Aber wir wussten nicht, ob wir in unseren gefärbten Gewebeproben ein Abbild der Wirklichkeit sehen oder einen Artefakt", sagt Gotthardt. "Mit BioID sitzen wir quasi an der Z-Scheibe und beobachten die vorbeiziehenden Myosin-Filamente."
Mit einem verbesserten Verständnis der molekularen und mechanischen Grundlagen der Muskelkontraktion lassen sich Rückschlüsse auf Krankheitsmechanismen ziehen, wie bei Muskelschäden, Muskelerkrankungen oder altersbedingtem Muskelschwund. Sobald bekannt ist, welche Proteine Probleme verursachen können, bieten sich neue Ziele für die Behandlung von Muskel- oder Herzerkrankungen.
MEDICA.de; Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft