Prof. Grigull erhielt 2019 den Wissenschaftspreis des Landes Niedersachsen in der Kategorie Lehre – unter anderem für eine App, die Medizin-Studierenden ermöglicht, die Arbeit in einer virtuellen Notfall-Ambulanz zu trainieren. Er kommt von der Medizinischen Hochschule Hannover, wo er seit 2003 als Oberarzt in der Kinderonkologie tätig war.
"Selbst heutzutage ist es noch immer ein langer Weg, bis Patienten mit einer seltenen Erkrankung eine Diagnose erhalten – im Einzelfall kann es sogar 40 Jahre dauern". Für Betroffene fehlen spezialisierte Anlaufstellen. "Wenn bei ihnen viel Diagnostik durchgeführt wurde, können wegweisende Hinweise und Befunde leicht übersehen werden. Sie fallen dann durchs Raster", sagt Grigull. Es gibt etwa 6.000 bis 8.000 seltene Erkrankungen und mit etwa vier Millionen Betroffenen in Deutschland sind sie zusammengenommen doch gar nicht mehr so "selten". Oft sind Kinder davon betroffen, da circa 80 Prozent dieser Krankheiten genetisch bedingt sind und sich daher schon im Kindesalter bemerkbar machen können. Das Fehlen einer Diagnose belastet die Familien enorm.
Das ZSE am Universitätsklinikum Bonn ist eines von nur sehr wenigen bundesweiten Zentren für seltene Erkrankungen, das eine Spezialambulanz für Patienten ohne Diagnose sowohl für Erwachsene als auch für Kinder anbietet. Die dortige interdisziplinäre Vernetzung unter anderem mit dem Institut für Humangenetik ist über Jahre gewachsen. Ein Herzstück ist die Prüfung und Aufarbeitung der dicken Patientenakten, einschließlich einer oft aufwendigen Recherche in verschiedenen Datenbanken. Hier werden die Spezialisten am Universitätsklinikum Bonn wesentlich von Medizinstudierenden unterstützt. "Die Analyse und Aufarbeitung der komplexen Fälle liefert den Studierenden auch wertvolle Kenntnisse für ihre spätere ärztliche Tätigkeit", sagt Grigull, der das Wahlpflichtfach "Seltene Erkrankungen" fest in den Lehrplan aufgenommen sieht und hierfür auch eine Lern-App entwickeln wird.
Standortübergreifende Fallkonferenzen und innovative diagnostische Methoden liefern dann für die betroffene Familie ein Ergebnis. Es gibt in jedem Fall eine Empfehlung für weitere Diagnostik, die Weiterbehandlung und eine Vermittlung an möglichst heimatnahe Behandlungszentren. Das gleiche Angebot gilt auch für pädiatrische Patienten, bei denen bereits eine seltene Erkrankung diagnostiziert wurde. "Wir wollen für die Familien ein Wegweiser im Dschungel des Gesundheitssystems sein", sagt Grigull.
Eine Ersteinschätzung, eine sogenannte Triage, der Dringlichkeit sowie auch der Diagnose auf der Basis von KI könnte zukünftig mithelfen, die Ressourcen der Spezialambulanz noch effizienter zu nutzen. Daher legt Grigull sein wissenschaftliches Augenmerk auf mathematische Verfahren, die Muster in einer größeren Datenmenge erkennen können.
MEDICA.de; Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn