Krebsuntersuchungen sind bisher erst ab einer gewissen Stufe möglich, ab der die zellulären Veränderungen klinisch nachweisbar werden. Die allerersten Phasen auf dem Weg zur bösarten Veränderung (Malignität) sind jedoch histologisch unsichtbar, da der Prozess innerhalb einer einzigen Zelle beginnt. In der allerersten Phase erwirbt eine sogenannte Keimzelle eine erste krebsfördernde Mutation - als "erster onkogener Hit" bezeichnet - während sie noch vollständig von normalem Gewebe umgeben ist. Um diese Hürde für die Erkennung zu überwinden, hat ein Forschungsteam um IMBA-Gruppenleiter Bon-Kyoung Koo und Gruppenleiter Prof. Benjamin D. Simons von der University of Cambridge ein Laborsystem entwickelt, um die bisher unter dem Radar gebliebenen Krebsvorstufen zu entschlüsseln.
"Mit dem Vormarsch von Technologien wie einer speziellen tiefzielenden DNA-Sequenzierung wurde festgestellt, dass krebsassoziierte Mutationen bereits in normalem Gewebe vorhanden sind, was sehr beängstigend ist", beschreibt Bon-Kyoung Koo den Wendepunkt, der ihn wie einen forensischen Detektiv auf die Spuren des ersten onkogenen Hits geführt hat.
Die meisten menschlichen Krebsarten haben ihren Ursprung im Epithel, der obersten Zellschicht des Haut- und Schleimhautgewebes. Daher beschloss der Genetiker Koo, ein Modell zu bauen, um die Auswirkungen der ersten onkogenen Veränderungen im Mausdarm zu untersuchen. Dieses genetische Modell, das das Team "Red2Onco" genannt hat, ist eine Vierfarben-Markierungstechnologie. Diese Technologie erlaubt es, den Beginn der Tumorgenese von einer einzelnen mutierten Zelle aus zu verfolgen. Mit Red2Onco fand das Team heraus, dass mutierte Zellen eine feindliche Umgebung für ihre benachbarten nicht-mutanten Zellen schaffen und die normale Stammzellumgebung im Darmgewebe der Maus massiv deregulieren. "Das ist mit Abstand der spannendste Ansatz, den wir bisher verfolgt haben", sagt Bon-Kyoung Koo.
Mit Hilfe von Red2Onco konnte das Team die Mechanismen untersuchen, die von zwei separaten ersten onkogenen Hits ausgelöst werden. Dabei handelt es sich um Mutationen an den Proto-Onkogenen KRAS bzw. PI3K, die als krebsfördernde Faktoren bekannt sind. Sie treiben die Veränderung zur Bösartigkeit in ausgewiesenen Tumoren voran. Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher heraus, dass sogar im Fall eines ersten derartigen onkogenen Treffers die mutierte prä-onkogene Zelle, oder Keimzelle, einen negativen Einfluss auf ihre Nachbarn ausübt. Das umliegende Normalgewebe verliert seine Stammzellen, was wiederum die territoriale Ausbreitung der onkogenen mutierten Stammzellen und ihrer Nachkommen begünstigt. "Durch diesen Prozess der 'Feldtransformation' erhöht die Besiedlung des Darmgewebes durch mutierte Zellen die Chance auf weitere onkogene Treffer, die wiederum zu Krebs führen können", erklärt Benjamin Simons vom Gurdon Institute, University of Cambridge.
MEDICA.de; Quelle: IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH