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24/10/2023

InfectoGnostics Forschungscampus Jena

InfectoGnostics-Studie: Nutzen von Vor-Ort-Tests in Hausarztpraxen

Interview mit Anni Matthes und Dr. Robby Markwart, Wissenschaftliche Mitarbeitende, Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Jena

Hausärztinnen und -ärzte setzen regelmäßig Vor-Ort-Schnelltests ein, weil sie ihre Anwendung sinnvoll finden. Doch an Kosten und Vergütungsregelungen scheitert ein häufiger Einsatz. Das sind Ergebnisse einer Studie von InfectoGnostics-Forschenden des Universitätsklinikums Jena im Projekt "POCT-ambulant", an der 292 Hausärztinnen und -ärzte in Thüringen, Bremen und Bayern teilgenommen haben.

Warum dem so ist, berichten MEDICA.de die Arbeits- und Organisationspsychologin Anni Matthes als Hauptautorin der Studie und Projektleiter Dr. Robby Markwart, der Biochemiker und Versorgungsforscher ist, im Interview.

Warum haben Sie sich in Ihrer Studie ausgerechnet des Themas von Vor-Ort-Schnelltests in Hausarztpraxen angenommen?

Anni Matthes: Am InfectoGnostics Forschungscampus Jena arbeiten Forschung, Industrie und Klinik eng zusammen, um neuartige Lösungen für die schnelle, kostengünstige und bedarfsgerechte Vor-Ort-Diagnostik von Infektionserkrankungen zu entwickeln. Obwohl die 55.000 niedergelassenen Hausärztinnen und -ärzte mit Abstand die größte Facharztgruppe in der ambulanten Versorgung darstellen und eine relevante Zielgruppe für Schnelltests in der Diagnostik sind, gibt es in Deutschland wenige Studien zum Einsatz solcher Tests in der Hausarztpraxis. Fundierte Kenntnisse sind aber wichtig, damit die Schnelltests am Ende so eingesetzt werden, dass Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte profitieren.
Deshalb fokussieren wir uns im Projekt POCT-ambulant (Anm. der Redaktion: POCT = Point-of-Care-Tests) am Institut für Allgemeinmedizin auf Studien zu Vor-Ort-Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung. Unser Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.

Welche Schnelltests setzen Hausärztinnen und -ärzte in der Regel ein?

Dr. Robby Markwart: Unsere Studie zeigt, dass derzeit sechs verschiedene Schnelltests von mehr als 50 Prozent der Hausärztinnen und -ärzte eingesetzt werden: Harnstreifentest, Glukose im Urin und Blut, SARS-CoV-2-Schnelltests, Mikroalbumin im Urin, Troponin I/T und Quick-Wert.

Warum diese Tests und keine anderen?

Markwart: Warum bestimmte Schnelltests eingesetzt werden, hängt von vielen Faktoren ab. Ein wichtiger Faktor ist die Vergütung: Nicht alle Schnelltests werden adäquat erstattet, sodass der Einsatz dieser Tests ein finanzielles Verlustgeschäft für die Praxis darstellt. Darüber hinaus vertrauen nicht alle Ärztinnen und Ärzte der Testgenauigkeit. Manche Schnelltests werden als zu wenig sensitiv wahrgenommen, sie zeigen zu oft ein negatives Ergebnis an, obwohl der Betroffene erkrankt ist.
Auch die Häufigkeit des Einsatzes bestimmt über die Anschaffung. So machen Schnelltests zur Erkennung von Sepsis in der Hausarztpraxis wenig Sinn, wohingegen Sepsis eine recht häufige Komplikation auf Intensivstationen ist, sodass dort eine schnelle Sepsis-Diagnostik wichtig ist.
Ein weiterer Faktor ist der Mehrwert gegenüber diagnostischen Standardverfahren. Grippale Infekte beispielsweise lassen sich durch Anamnese und körperliche Untersuchungen gut einschätzen. Ein Schnelltest ist dann nicht in jedem Falle nötig. Auf der anderen Seite können bestimmte Schnelltests helfen, virale und bakterielle Infekte zu unterscheiden und Antibiotika optimal einzusetzen.“

Wie ordnen Sie die Ergebnisse Ihrer Studie ein?

Markwart: Unsere Arbeit ist die erste Studie in Deutschland, die den Einsatz von Schnelltests sowie die damit verbundenen hausärztlichen Perspektiven, Chancen und Limitationen wissenschaftlich fundiert erfasst hat. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Hausärztinnen und -ärzte in Deutschland Schnelltests als hilfreich erachten, da sie unmittelbare klinische Entscheidungen ermöglichen sowie die empfundene Sicherheit bei ihrer Entscheidungsfindung erhöhen. Jedoch gibt es verschiedene testbezogene Barrieren wie die Testgenauigkeit und Kontextfaktoren wie Vergütung oder wahrgenommener klinischer Nutzen, die die Implementierung behindern.

Wie ließe sich der Einsatz von Schnelltests steigern?

Matthes: Für eine gute medizinische Versorgung ist es wichtig, dass Schnelltests, wie andere diagnostische oder therapeutische Verfahren auch, zielgerichtet in der richtigen klinischen Situation angewendet und interpretiert werden. Ziel ist somit, dass wir Bedingungen schaffen, die diesen evidenzbasierten Einsatz von Schnelltests fördern. Hier ist es wichtig, dass wir wissenschaftlich Erkenntnisse generieren, die für die Hausarztpraxis relevant sind. Wenn diese Erkenntnisse gut kommuniziert werden und in medizinischen Leitlinien sowie in die Aus- und Fortbildung eingearbeitet werden, fördert dies den korrekten Einsatz von Schnelltests. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Schnelltests entwickelt werden, die den Anforderungen und Bedarfen in Hausarztpraxen entsprechen, mit einfacher Handhabung, aber auch ausreichender Genauigkeit, sodass Ärzte- und Patientenschaft den Ergebnissen vertrauen können. Auch die Kosten müssen in Relation zum klinischen Nutzen stehen.

Welche „Hausaufgaben" müssen Krankenkassen, kassenärztliche Vereinigungen, Entwickler und auch das ärztliche Fachpersonal dafür noch erledigen?

Matthes: In den vergangenen Jahren wurden für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte wenig neue Abrechnungsmöglichkeiten neuer Schnelltests geschaffen oder bestehende Vergütungen angepasst. Deshalb wäre es sinnvoll, dass sich die Beteiligten, also Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen darüber austauschen. Bei der Entscheidung über die Vergütung sollte der Nutzen der Schnelltests berücksichtigt werden. Aus diesem Grund sollten wissenschaftliche Projekte zur Untersuchung des potenziellen Nutzens verstärkt gefördert werden. Neben Förderprogrammen seitens der Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen sehen wir hier auch das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Pflicht.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die Hausärzteschaft mit neuen Schnelltestlösungen und deren Nutzen für die Patientenversorgung auseinandersetzt. Dazu müssen klinische Leitlinien zu Schnelltests in der Arztpraxis erstellt werden, die evidenzbasierte Empfehlungen für den Einsatz der Tests geben. Außerdem sollte der Einsatz von diagnostischen Tests schon im Medizinstudium und in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verankert werden.
Seitens der Firmen und Entwickelnden ist es notwendig, die Anwendenden frühzeitig einzubinden und die Rahmenbedingungen der ambulanten Versorgung zu kennen, um Anforderungen aus der Praxis bei der Schnelltestentwicklung einfließen zu lassen.

Das Interview wurde geführt von Silke Meny.
MEDICA.de

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