Die kleinen Adressaten der Anwendung haben aufgrund von Erkrankungen wie Zerebralschäden oder entzündlichem Rheuma oft ganz unterschiedliche Gangprobleme. Gemeinsam ist ihnen, dass sie natürliche Bewegungsanläufe mit aktiven Orthesen am Bein wieder neu lernen müssen. Ein mühsamer Prozess, der ihnen viel Motivation abverlangt.
Das Forschungsvorhaben, das auf Gamification für die Motivationssteigerung der Kinder beim Training setzt, leitet HM-Professor Ulrich Wagner. Das Projekt "Kostengünstige aktive Orthese zur Rehabilitation und Analytik von kindlichen Bewegungsstörungen" (KORA) entwickelt eine aktive Beinorthese, die mitwachsen kann und kostengünstig aus dem 3D-Drucker kommt. Diese ist mit einer Sohle mit Sensoren versehen, welche die Bewegungsabläufe der Kinder erkennen, aufzeichnen und schließlich Feedback zur Zahl der "richtigen" Schritte geben kann. Das ist als Rückmeldung zum Trainingsfortschritt für Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie die Eltern wichtig.
Doch Kinder als Nutzende der Trainingsapp benötigen mehr als Zahlen oder Erfolgsstatistiken, um bei dem oft schmerzhaften Training langfristig mitzuarbeiten. Fabienne Erben entwickelte in ihrer Bachelorarbeit deshalb eine Gaming-App, in der sechs Spiele den Nutzenden kindgerecht Feedback zu ihren Erfolgen geben und Spaß am Training vermitteln. Jedes Spiel übt andere, einfache oder komplexe Bewegungsabläufe ein, die das gesamte Feld möglicher Trainings abstecken. Die Untergliederung der Bewegungsabläufe in unterschiedliche Spiele hat den Vorteil, dass mit wechselnden Spielen auch wechselnde Muskelgruppen trainiert werden.
Nach dem Einloggen und dem Kalibrieren der App auf das Kind durch Betreuende, kommen erste Spieleempfehlungen, welche die Anwendung aus der Analyse oder auch die Betreuenden vorher auswählen. Die breite Altersgruppe von drei bis sechs Jahren ergibt sich aus den Krankheitsbildern. Meist werden Gangprobleme ab dem Alter von drei Jahren erkannt. Die Spiele sind in der Bildsprache und Spielablauf auf diese Altersgruppe ausgelegt. Während die Kinder Zugang zu den Spielen haben, können Eltern via PIN-Code Analysedaten zur Anzahl der "richtigen" Schritte abrufen, die für den Fortgang des Trainings relevant sind.
Kinder sind keine alltägliche Zielgruppe im User Experience Design (UX Design) im Physiotherapiebereich, das Produkte spezifisch auf die Erfahrungen der Nutzenden zuschneidet. Zu klein ist ihr Marktanteil, der Aufwand deshalb wirtschaftlich nicht lohnend. Und Kinder ticken anders: "Sie sind eher über bildliche Sprache zu erreichen und ihre Motivation ist eher intrinsisch, anstatt wie bei Erwachsenen von äußeren Reizen wie einem Belohnungssystem angetrieben", sagt Erben. Diese Erkenntnisse zog sie aus Gesprächen mit Eltern, physiotherapeutischem, erzieherischem und mediznischem Fachpersonal und den Kindern.
Obwohl Fachliteratur zum UX Design zu Spielen für Kinder existiert, gelangt diese nur selten in die Hände der Praktizierenden in den Designagenturen. Diese Lücke zwischen Theorie und Praxis möchte Erben mit ihrem kleinen Handbuch zum UX Design für Kinder schließen. Für das Projekt KORA hat sie ihr Ziel bereits erreicht, das haben ihre Tests ergeben: "Den Kindern macht die App Spaß! Mein Ziel ist das, was mir eine heute erwachsene Betroffene erzählte: Dass die Spiele so viel Spaß machen, dass auch gesunde Kinder sie spielen wollen!" Für das Projekt KORA ist die Gaming-App nach der Hardwareentwicklung ein weiterer Meilenstein. Einer der nächsten Schritte ist die weitere Optimierung der Orthesen.
MEDICA.de; Quelle: Hochschule München