Die Entwicklung von Medikamenten ist kostspielig und von Rückschlägen gekennzeichnet. "In den letzten Jahren sind die meisten neuen Wirkstoffe gegen Hirnerkrankungen in Studien am Menschen gescheitert. Ein Grund dafür sind die ineffizienten In-vitro-Tests für neurologische Erkrankungen – vor allem während der frühen Phase der Medikamentenentwicklung, also vor Beginn klinischer Studien", sagt Alzheimer-Forscher Dr. Caghan Kizil, der sich mit der Entwicklung experimenteller Krankheitsmodelle befasst. Sein Dresdner Kollege, Dr. Hayder Amin, meint: "Die bestehende Methodik hat ein grundsätzliches Manko. Das menschliche Gehirn ist enorm komplex und kann von den derzeit im Labor verwendeten Methoden nicht angemessen modelliert werden. Diese sind zu vereinfachend, um den wahren Effekt eines Wirkstoffes auf neuronale Netzwerke erkennen zu können. Insbesondere zweidimensionale Zellkulturen und herkömmliche Methoden der Datenerhebung können die komplizierten elektrophysiologischen und zellulären Eigenschaften des Gehirns nicht erfassen."
Die Dresdner Forscher gehen dieses Problem mit innovativen Ideen an. Ihre Technologieplattform "i3D-Markers" könnte eine entscheidende Frage im Zuge der Entwicklung von Medikamenten beantworten: "Wie würde sich ein bestimmter Arzneistoff-Kandidat auf die Netzwerke des menschlichen Gehirns auswirken: gut oder schlecht?". Die Erfahrung zeigt, dass diese Frage vor klinischen Studien am Menschen schwer zu beantworten ist. "Tatsächlich scheitern viele Wirkstoffkandidaten, die im Labor oder Tierversuch medizinisches Potenzial zeigen, in klinischen Studien aufgrund unerwünschter Wirkungen auf das menschliche Gehirn", so Amin. Die DZNE-Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass i3D-Markers neue Impulse geben kann. "Unser Ziel ist es, zu validieren, dass unsere Technologie besser als derzeitige Methoden vorhersagen kann, ob ein experimenteller Wirkstoff die beabsichtigte Wirkung auf den Menschen haben wird. Das wird hoffentlich helfen, den Weg zu neuen Medikamenten zu beschleunigen, Sackgassen in der Medikamentenentwicklung zu vermeiden und Entwicklungskosten zu senken", sagt Kizil.
Das Konzept der Dresdner Forscher verschmilzt Neuroelektronik mit einer innovativen Zellkulturmethode. "i3D-Markers nutzt neuronale Zellkulturen, die mit einem Mikrochip gekoppelt sind. Das heißt, wir züchten Nervenzellen auf elektronischen Bauteilen, die dicht angeordnete Mikroelektroden beinhalten. Dabei bilden die Nervenzellen ein dreidimensionales Geflecht, wie es im Gehirn vorkommt. Dieser Aufbau ermöglicht es uns, die elektrische Aktivität von Tausenden von Nervenzellen gleichzeitig mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu erfassen", erklärt Amin. "Diese Anordnung von vielen winzig kleinen Sensoren gibt uns Einblicke in die Dynamik dieses sehr komplexen Netzwerks aus menschlichen Nervenzellen. Wir werden High-Content-Daten in noch nie dagewesener Detailtiefe und Einzelzellauflösung erhalten."
Die Informationen über die neuronale Aktivität werden allerdings komplex sein, da sie von Tausenden von Mikrokontaktsensoren stammen. Für die Analyse werden die Wissenschaftler daher Methoden der künstlichen Intelligenz einsetzen. Solche Algorithmen identifizieren und extrahieren Muster aus komplexen, mehrdimensionalen Daten. "Durch künstliche Intelligenz und spezielle mathematische Ansätze wollen wir sogenannte funktionelle Biomarker entwickeln, die auf der Aktivität des neuronalen Netzwerks beruhen. Diese Biomarker werden uns mitteilen, ob es dem Netzwerk gut geht oder nicht und ob ein bestimmter Wirkstoff diesen Zustand beeinflusst. Das wird uns helfen, vielversprechende Wirkstoffe zu identifizieren", sagt Amin.
MEDICA.de; Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)