Herkömmliche geriatrische Assessmentverfahren basieren auf klinischer Beobachtung und manueller Auswertung. So setzen zum Beispiel Assessmentverfahren zur Erfassung der Mobilität wie der Tinetti-Test oder der "Timed Get Up and Go"-Test die heutigen technologischen Möglichkeiten nicht ein. "Dabei würden es Sensoren ermöglichen, Bewegungsabläufe qualitativ und quantitativ abzubilden", sagt Stuck. Auch andere Assessmentverfahren wie der Flüsterzahlentest stammen aus dem letzten Jahrhundert, obschon es auch hier Alternativen geben würde. Es stellt sich also die Frage, ob die herkömmlichen Verfahren ausgedient haben.
Exemplarisch sind die Vorgaben, welche für die Dokumentation der geriatrisch frührehabilitativen Komplexbehandlung gelten. Diese geben vor, in welchem Zeitraum welche Elemente des geriatrischen Assessments dokumentiert sein müssen. Hat dies das geriatrische Assessment verändert? Und vor allem: Führt dies zu einer besseren geriatrischen Versorgung älterer Patienten? In den vergangenen 20 Jahren haben sich die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten verändert. So ist die Sarkopenie kürzlich als Diagnose in die ICD-Klassifikation aufgenommen worden, und es gibt heute wirksame Interventionen für betroffene Patienten. Bei anderen Diagnosen, wie Delir oder Gangunsicherheit, haben sich die diagnostischen und therapeutischen Verfahren in den vergangenen Jahren ebenfalls wesentlich verbessert. Sind die herkömmlichen geriatrischen Assessmentverfahren deshalb noch geeignet für die Aufdeckung dieser Krankheiten?
Im Jahr 2001 hat die Geriaterin und Epidemiologin Linda Fried erstmals den "Frailty-Phänotyp" beschrieben, primär als Grundlage für die Erforschung pathopyhsiologischer Abläufe im Alter. Unterdessen hat "Frailty" auch Einzug in die Klinik gehalten. So wird die "Frailty" heute zum Teil als Kriterium für medizinische Entscheidungen eingesetzt. Das herkömmliche geriatrische Assessment enthält jedoch keine "Frailty"-Dimension. Muss also das multidimensionale Assessment um eine Dimension ergänzt werden?
Auch außerhalb der Geriatrie hat das geriatrische Assessment in den vergangenen Jahren zunehmend Beachtung gefunden. In der Kardiologie und der Traumatologie, und unterdessen in vielen anderen Disziplinen wurde der Mehrwert dieser geriatrischen Abklärungsmethode erkannt. Das geriatrische Assessment ist darum heute nicht mehr ausschließlich eine Spezialabklärung bei ausgewählten Patienten in der Geriatrie, sondern Teil der Basisabklärung anderer Disziplinen. Hier ist noch Entwicklungsarbeit notwendig, denn ein geriatrisches Assessment für die Anwendung in nichtgeriatrischen Settings muss in kurzer Zeit durchführbar und trotzdem ausreichend valide sein.
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)