Wir können so unterschiedlich laute Höreindrücke wie das Blätterrascheln und das Dröhnen eines Düsentriebwerks wahrnehmen. Unser Gehör verarbeitet dabei akustische Signale, die sich im Schalldruck um mehr als sechs Größenordnungen unterscheiden. Das ist so unvorstellbar, als wolle man mit dem gleichen Thermometer die Körpertemperatur und die Temperatur im Inneren der Sonne messen. Das seit Jahrzehnten ungelöste Problem beim Verständnis des Hörens ist aber: Jede Hörnervenzelle bildet nur einen Bruchteil des hörbaren Schallintensitätsbereichs ab und informiert das Gehirn nur jeweils über einen begrenzten Schalldruckbereich. Die Intensitätsinformation wird dann vom Gehirn aus der Gesamtaktivität des Hörnervs rekonstruiert. Wie die Schallintensitätsinformation in der Hörschnecke in verschiedene neuronale Bahnen zerlegt wird, ist nach wie vor nicht klar.
In-vivo-Studien belegen eine große funktionelle Vielfalt an Hörnervenzellen, die auch unterschiedliche molekulare Profile aufweisen. Ensembles dieser verschiedenen Nervenzellen kodieren gemeinsam die Intensität für eine bestimmte Schallfrequenz. Aktuelle Forschungsergebnisse des Teams um Moser haben zu einer neuen Vorstellung von der Schallintensitätsverarbeitung in der Hörschnecke geführt, die nun den Ausgangspunkt des "DynaHear" Projekts bildet. Das Konzept geht davon aus, dass jede schallverarbeitende Haarsinneszelle ihre Synapsen mit den etwa 1-2 Dutzend Hörnervenzellen sehr verschieden ausbildet, um die Schallintensitätsinformation zwischen ihnen aufzuteilen.
In "DynaHear" soll diese Hypothese überprüft und das Zusammenspiel dieser synaptischen Diversität mit den molekularen Profilen der Hörnervenzellen und deren Feedback-Modulation durch das Gehirn untersucht werden. Mittels eines skalenübergreifenden und multidisziplinären Forschungsansatzes werden Moser und sein Team die molekularen Grundlagen der synaptischen Heterogenität aufklären, die Mechanismen entschlüsseln, die diese Heterogenität begründen, und mit der funktionellen Vielfalt im Hörnerv in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck kombinieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler modernste Verfahren der multimodalen Bildgebung, Optogenetik und Modellierung.
MEDICA.de; Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität