Bei komplexeren Anwendungen stoßen Computer jedoch nach wie vor schnell an ihre Grenzen, was unter anderem daran liegt, dass ihre Recheneinheiten und Datenspeicher traditionell voneinander getrennt sind. Folge: Alle Daten müssen hin- und hergeschickt werden. In diesem Punkt ist das Gehirn selbst den modernsten Computern viele Schritte voraus, denn es verarbeitet und speichert Informationen an derselben Stelle: an den Synapsen, Verbindungen von Nervenzellen. Einem internationalen Forscherteam der Universitäten Münster, Oxford und Exeter ist nun die Entwicklung einer Hardware gelungen, die den Weg in Richtung hirnähnliche Computer ebnen könnte: Die Nanowissenschaftler stellten einen Chip her, auf dem sich ein Netz aus künstlichen Neuronen erstreckt, das mit Licht arbeitet und das Verhalten von Nervenzellen im Gehirn nachahmen kann.
Die Forscher konnten zeigen, dass ein solches optisches neurosynaptisches Netz in der Lage ist, Informationen zu "lernen" und auf Basis dessen zu rechnen und Muster zu erkennen – so wie es ein Gehirn kann. Da das System ausschließlich mit Licht und nicht wie traditionell mit Elektronen funktioniert, kann es um ein Vielfaches schneller Daten verarbeiten. "Dieses integrierte photonische System ist ein experimenteller Meilenstein. Der Ansatz könnte später in vielen Bereichen Anwendung finden, um Muster in großen Datenmengen auszuwerten, zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik", sagt Studienleiter Prof. Wolfram Pernice, Physiker an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
Die meisten bestehenden Ansätze für sogenannte neuromorphe Netzwerke beruhen derzeit auf Elektronen, wohingegen optische Systeme, bei denen Photonen, also Lichtteilchen, zum Einsatz kommen, noch in den Kinderschuhen stecken. Das Prinzip, das die deutschen und britischen Wissenschaftler nun vorstellen, funktioniert so: Auf den Mikrochips sind Lichtwellenleiter platziert, die Licht übertragen können. Die Lichtwellenleiter bestücken die Forscher mit sogenannten Phasenwechselmaterialien. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Eigenschaften drastisch verändern – je nachdem, in welchem Phasenzustand sie sich befinden. So wechseln die Materialien zwischen einem kristallinen Zustand, in dem sich ihre Atome auf regelmäßige Weise anordnen, und einem amorphen Zustand, in dem sich ihre Atome auf unregelmäßige Weise organisieren. Die Phasenveränderung kann durch Licht ausgelöst werden, indem ein Laserstrahl das Material erhitzt.
In ihrer aktuellen Studie gelang es den Forschern zum ersten Mal, viele nanostrukturierte Phasenwechselmaterialien zu einem neurosynaptischen Netzwerk zusammenzuschließen. Die Nanowissenschaftler entwickelten einen Chip mit vier künstlichen Neuronen und insgesamt 60 Synapsen. Die in verschiedenen Schichten aufgebaute Struktur des Chips basierte auf der sogenannten Wellenlängenmultiplex-Technik – ein Verfahren, bei dem Licht auf unterschiedlichen Kanälen innerhalb eines optischen Nanoschaltkreises übertragen wird.
Um zu testen, inwiefern das System in der Lage ist, Muster zu erkennen, "fütterten" es die Forscher mit Informationen in Form von Lichtpulsen und wandten zwei verschiedene Algorithmen des Maschinellen Lernens an. Hierbei "lernt" ein künstliches System aus Beispielen und kann diese am Ende verallgemeinern. Bei den beiden eingesetzten Algorithmen – sowohl beim sogenannten überwachten als auch beim unüberwachten Lernen – war das künstliche Netzwerk am Ende in der Lage, anhand von vorgegebenen Lichtmustern ein jeweils gesuchtes Muster zu erkennen.
MEDICA.de; Quelle: Westfälische Wilhelms-Universität Münster