Stand der Technik in der Wirkstoffforschung sind nach wie vor In-vitro-Zellkulturmodelle, die auf tierischen Zellen basieren oder In-vivo-Tierversuche. Beide Systeme lassen sich meist nur unzureichend auf das menschliche System übertragen, so dass Nebenwirkungen erst spät entdeckt werden und sowohl ökonomische als auch gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Daher besteht ein dringender Bedarf an signifikanten Testsystemen, die eine zuverlässige Vorhersage möglicher medikamenteninduzierter Toxizitäten beim Menschen erlauben.
Die Entdeckung der humanen induziert pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) mit ihrem einzigartigen Potenzial der unbegrenzten Selbstreplikation sowie ihrer Möglichkeit, in fast alle Zelltypen eines menschlichen Körpers differenzieren zu können, führte zu großen technischen Fortschritten im Bereich humaner zellbasierter Toxizitätsstudien. Dieses Zellsystem kann zum Beispiel aus Hautbiopsien von Erwachsenen etabliert und dann in verschiedene Zelltypen, zum Beispiel Herzmuskel- oder Nervenzellen, differenziert werden. Dadurch können einfach aber gezielt ganze Patientengruppen im Labor abgebildet und die für Toxizitätsstudien relevanten Zelltypen erzeugt werden. Aktuell sind jedoch die Abläufe in der Arbeit mit diesen Zellsystemen noch durch notwendiges großes praktisches Expertenwissen und hohen Zeitaufwand gekennzeichnet. Auch müssen diese »Assays« auf Bedarf produziert werden, sind nur in einem sehr begrenzten Zeitrahmen von wenigen Tagen lagerbar und in ihrem physiologischen Zustand nicht transportabel. Konventionelle kryobiologische Prozesse, das heißt das kontrollierte Abkühlen biologischer Proben unterhalb des Gefrierpunkts, sind bereits für Einzelzellen in Suspension etabliert. Sie lassen sich aber für die Assay-relevanten spezifischen Zelltypen Kardiomyozyten und Neurone, die auf Oberflächen wachsen und nur so ihre Funktionalität ausbilden, nicht anwenden.
Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT besitzt jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der Kryobiotechnologie und des Biobankings. Im Rahmen des Verbundprojekts »R2U-Tox-Assay« hat das Fraunhofer IBMT die Aufgabe übernommen, funktionelle Kardiomyozyten und Neurone aus hiPS-Zellen in skalierbaren Prozessen zu erzeugen und in standardisierten Laborgefäßformaten für Hochdurchsatzscreenings einzufrieren. Die Funktionalität dieser Zellen wird durch ihren Kontakt mit speziell beschichteten Oberflächen gewährleitet, der auch während des Abkühlvorgangs aufrechterhalten werden muss. Durch ultrahohe Kühlraten und einen speziellen Cocktail aus Gefrierschutzmittel werden kryogene Temperaturen unterhalb von 140 °C erreicht, ohne dass potenziell schädigende Eiskristalle innerhalb der Probe entstehen. In diesem Temperaturbereich sind die Proben zeitlich unbegrenzt lager- und transportfähig. Unmittelbar nach dem Auftauen sind sie in standardisierten Assays einsetzbar ohne die zeitlich aufwendigen Erholungsphasen, die eine konventionelle Kryokonservierung mit sich bringt.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT