Schuld daran sind Bakterien: Sie infizieren das Gewebe rund ums Implantat und sorgen für eine Entzündung, die zunächst das weiche Gewebe und dann den Knochen zerstört. Wenn der Kaugummi diese Komplikation ankündigt, kann der Zahnarzt das Krankheitsgeschehen schon in einem sehr frühen Stadium beeinflussen.
Das ist aber nur der Anfang: Geht es nach den Entwicklern des Kaugummis, kann das Medizinprodukt in Zukunft auch weitere Krankheiten zu einem frühen Zeitpunkt anzeigen – beispielsweise eine Parodontitis, eine Mandelentzündung, Scharlach, Influenza oder kurz: sämtliche Krankheiten, bei denen sich Erreger im Speichel nachweisen lassen, wie Prof. Lorenz Meinel erklärt. Meinel ist Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU); gemeinsam mit Dr. Jennifer Ritzer und seinem Team hat er das neue Diagnosemittel entwickelt.
Tatsächlich hat der Kaugummi-Sensor seine Wirksamkeit bisher nur im Reagenzglas am Speichel von Patienten bewiesen; die Erprobung im Mund steht noch aus. Ein Scheitern in diesem Stadium hält Heinrich Jehle für unwahrscheinlich. "Ich bin zuversichtlich, dass es klappt. Wenn ich es nicht wäre, hätte ich das Projekt nicht angefangen", sagt er.
Das Prinzip dieses Produkts ist leicht erklärt: Der Kaugummi dient als Trägersubstanz, in den ein löslicher Film mit einer spezifischen Peptidkette aus Aminosäuren sowie ein Bitterstoff eingearbeitet sind. Die Peptidkette ummantelt diesen Bitterstoff und verhindert so, dass die Zunge ihn von Anfang an schmecken kann. Erst wenn krankheitsspezifische Enzyme einer bakteriellen Entzündung im Speichel vorhanden sind, trennen diese die Peptidkette vom Bitterstoff ab. Von diesem Moment an wird jeder, der den Kaugummi kaut, einen deutlich bitteren Geschmack wahrnehmen. Sind keine Bakterien vorhanden, bleibt der Geschmack neutral.
Dieser einfach zu absolvierende Test erleichtert Diagnose und Therapie deutlich. Beim Verdacht auf eine bakterielle Infektion müsste kein Abstrich von der Arzthelferin genommen werden, sondern der Patient könnte zunächst einen für sein Krankheitsbild passenden Kaugummi kauen. Das Nachweisverfahren ist einfach, überall anzuwenden und schnell: Bereits nach zwei Minuten liegt ein Ergebnis vor, das dem Arzt Entscheidungshilfe für die weitere Behandlung bietet. "Das Produkt dient vor allem als Ergänzung zu den bestehenden Tests, als Vorscreening oder niederschwellige Überwachung", erklärt Heinrich Jehle.
Bis es den Kaugummi tatsächlich rezeptfrei in Apotheken gibt, müssen Jehle und sein Team allerdings noch ein paar Hürden überwinden. Eine davon ist die Zulassung durch die Behörden. Da der Kaugummi als Testsystem innerhalb des menschlichen Körpers zum Einsatz kommen soll, wird er von den Zulassungsbehörden voraussichtlich als Medizinprodukt klassifiziert, vermutet Jehle. Und damit betritt das Start-up Neuland: "Wir sind meines Wissens weltweit die Ersten, die für solch ein Produkt eine Zulassung beantragen. Das ist also auch Neuland für die Medizinprodukteverordnung." Aber auch was diesen Punkt angeht, ist Jehle zuversichtlich. Mit unangenehmen Überraschungen rechnet er jedenfalls nicht.
MEDICA.de; Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg