Hinzu kommen Schul-, Sport-, Arbeits- und Freizeit-Unfälle, sodass statistisch 12 Prozent der deutschen Bevölkerung in einem Jahr einen Unfall erleiden. Nach ihrem Rettungstransport kommen lebensgefährlich Verletzte und sogenannte "Polytrauma"-Patienten für die sofortige Behandlung in einen speziell eingerichteten Schockraum im Krankenhaus. Die Versorgung ist sehr komplex und erfolgt unter hohem Zeitdruck. Hier kann Künstliche Intelligenz das Behandlungsteam zukünftig durch Entscheidungsunterstützung und Datenanalyse in lebensentscheidenden Maßnahmen unterstützen.
"Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie ergeben sich völlig neue Potenziale für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, um im Gesundheitswesen wertvolle Ressourcen zu sparen und Überlastungen abzufedern", sagt Dr. Jil Sander, Leiterin des Geschäftsfeldes Healthcare Analytics am Fraunhofer IAIS. "Durch die Verfügbarkeit und intelligente sowie datensichere Analyse von Gesundheits- und Lifestyle-Daten der Patienten können wir Kliniken und andere medizinische Einrichtungen bei Effizienz- und Qualitätssteigerung unterstützen."
Auch in der Frühversorgung Schwerverletzter spielen Daten eine entscheidende Rolle, darunter Informationen zum Hergang des Unfalls, Vitaldaten, Vorerkrankungen und Vormedikation, Bildgebungsdaten sowie Messgrößen medizintechnischer Geräte im Schockraum. Methoden des Maschinellen Lernens gewinnen aus diesen Datenmengen Erkenntnisse und liefern dem Schockraum-Team mittels Wissensintegration wertvolle Hinweise.
Um das Potenzial aber auch die Herausforderungen von KI in der Notfallversorgung bestmöglich zu ergründen, setzte das Fraunhofer IAIS im Rahmen des LOTTE-Projekts auf die Zusammenarbeit mit interdisziplinären Fachleuten. Unter der Leitung des Lehrstuhls für Management und Innovation im Gesundheitswesen sowie des Lehrstuhls für Unfallchirurgie und Orthopädie der Universität Witten/Herdecke wirkten am Projekt Experten des Instituts für Rechtsinformatik an der Leibniz Universität Hannover mit. Gemeinsam hat das Team insgesamt 49 mögliche Einsatzszenarien für Digitalisierung und den Einsatz von KI identifiziert. Davon wurden sechs Szenarien mit besonders hohem bzw. relevanten Einsatzpotential priorisiert und im Detail analysiert.
Die theoretisch entwickelten Lösungen setzen mit einer "Intelligenten Alarmierungskette" direkt am Unfallort an. Hier verwandelt die Technologie den Informationsfluss zwischen Notärzten, Leitstelle und den Fachkräften im Krankenhaus automatisch in Datensätze. So wird der Informationsverlust von der Erstversorgung bis hin zur Einlieferung und der Behandlung im Schockraum auf ein Minimum reduziert und die erhobenen Daten liefern frühzeitig Erkenntnisse für den Behandlungsprozess. Erste Beispiele von datenbasierter Kommunikation aus der Praxis zeigen die Notwendigkeit eines flächendeckenden Einsatzes.
Eine lückenlose Überlieferung lebenswichtiger Informationen ist auch Ziel der "Semiautomatischen Sprachdokumentation", die im Einsatzszenario rund um die Einlieferung und Behandlung im Schockraum selbst eine große Rolle spielt. Die Übergabe durch das einliefernde notärztliche Team, die bislang in der Regel mündlich vermittelt und selten in strukturierter Form festgehalten wird, kann künftig durch ein KI-gestütztes Sprachsystem mit Mikrofonen im Schockraum digital aufgezeichnet und automatisch in ein strukturiertes Text-Protokoll umgewandelt werden. Sowohl für die interne Qualitätssicherung als auch für den Export in eine Registerdatenbank dient das Protokoll einer detaillierteren aber auch zeitsparenden Nachhaltung der relevanten Informationen.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS