Ermöglicht werden soll die autonome Navigation durch Deep Reinforcement Learning (DRL), eine Methode, mit der sich neuronale Netze trainieren lassen. Sie ähnelt der Art, wie Menschen lernen. Die Besonderheit von DRL: Der Algorithmus generiert die Daten zum Trainieren des neuronalen Netzes eigenständig durch permanentes Üben am Computer-Simulationsmodell – einer virtuellen Nachbildung eines Gefäßbaums und Katheters, mit der der reale Algorithmus interagieren kann. Die Forscher haben dazu einen zusätzlichen Bewertungsalgorithmus entwickelt, der bewertet, ob die jeweilige Aktion richtig oder falsch ist. Wird der Führungsdraht korrekterweise nach rechts gedreht und an der Verzweigung in das dortige Gefäß geschoben, so erhält der Algorithmus einen Pluspunkt beziehungsweise einen Zahlenwert von beispielsweise "+1". Bei einer falschen Aktion lautet der Zahlenwert entsprechend "-1". Auf Basis dieser Rückmeldungen lernt der Algorithmus eigenständig, und das neuronale Netz wird laufend entsprechend angepasst und optimiert. "Mit dem Modell können wir virtuell alle möglichen Bewegungen des Katheters simulieren und das neuronale Netz bis zu einem gewissen Stadium trainieren. In bisherigen Tests am Simulationsmodell waren wir in 95 Prozent der Fälle erfolgreich, sprich der Katheter konnte in einem vereinfachten Szenario problemlos autonom zum Gefäßverschluss navigiert werden. Bis zum Start der MEDICA wollen wir jedoch eine Erfolgsquote von 99 Prozent erzielen", sagt Horsch.
Damit der Mediziner die autonome Navigation während des Eingriffs nutzen kann, muss der Katheter im Patienten in Echtzeit lokalisiert werden. Hieran arbeitet der Projektpartner, das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS. Dort entwickeln die Experten einen "intelligenten Katheter", der sich mittels faser-optischer Sensorik und ohne Bildgebung im Gefäßsystem lokalisieren lässt. Außerdem trainieren sie neuronale Netze zur Extraktion des Katheters aus fluoroskopischen Bilddaten. Im nächsten Schritt werden die im Simulationsmodell generierten Ergebnisse auf Phantome übertragen, einer Nachbildung eines Gefäßbaums aus Kunststoff.
Der Steuerungsalgorithmus wird das Erfahrungswissen von vielen Ärzten umfassen und infolgedessen ein schnelleres Navigieren durch den Körper erlauben. Vor allem aber wird die große Streuung der sehr unterschiedlichen Dauer der Eingriffe, bedingt durch die variierenden Anatomien der Patienten, vermieden. Ein weiterer Vorteil: Insbesondere kleine Kliniken, die nicht über entsprechend ausgebildete Spezialisten verfügen, sollen künftig von dem Verfahren profitieren. Sie wären dann in der Lage, endovaskuläre Schlaganfalltherapien durchzuführen, bei denen Katheter zum Einsatz kommen. Diese Eingriffe können in der Regel nur in spezialisierten Schlaganfallstationen – sogenannten Stroke Units – durchgeführt werden.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer Gesellschaft