Einen Schutz dagegen bietet ein bestimmtes körpereigenes Protein, das Uromodulin: Rund 70 Prozent aller Menschen tragen in ihrem Erbgut eine Uromodulin-Genvariante, die dazu führt, dass sie dieses Schutzprotein in besonders großen Mengen produzieren. Dementsprechend haben sie ein kleineres Risiko, Harnwegsinfekte zuzuziehen.
Doch wie genau das Uromodulin Entzündungen verhindert, wusste man nicht. Das hat nun ein interdisziplinäres Team aus drei Forschungsgruppen der ETH Zürich zusammen mit Forschern der Universität Zürich und des Kinderspitals Zürich herausgefunden: Die Wissenschaftler haben untersucht, wie das Uromodulin aussieht und mit welchen Mitteln es die uropathogenen E. coli neutralisiert. Ihre Erkenntnisse wurden in Science publiziert und dürften künftig helfen, neue Strategien zur Behandlung von Harnwegsinfekten zu entwickeln.
Zunächst haben die Forschenden auf molekularer Ebene analysiert, wie das Protein an die Bakterien-Pili bindet. "Zwar wusste man schon vorher, dass eine Bindung stattfindet und dass dies wohl zur Schutzfunktion beiträgt, doch Näheres war nicht bekannt", sagt Gregor Weiss, Doktorand an der ETH und einer der Erstautoren der Studie. Die biochemischen Untersuchungen zeigten nun, dass die Bakterien-Pili bestimmte Zuckerketten auf der Oberfläche des Uromodulins erkennen und extrem spezifisch und stark an diese binden.
Als nächstes untersuchte das Team das Uromodulin mittels Kryo-Elektronentomografie. Dabei werden die dreidimensionalen Strukturen von Proteinen und Zellen sichtbar, ohne dass man sie dafür chemisch verändern oder entwässern muss. Sie erkannten, dass das Uromodulin lange Filamente bildet. Diese bestehen durchschnittlich aus rund 400 einzelnen, aneinandergereihten Proteinmolekülen. Und jedes Glied dieser Proteinkette enthält das charakteristische Muster aus Zuckerketten, an das Bakterien-Pili gerne binden.
Was diese Eigenschaften in größerem Maßstab bewirken, schaute sich das Team wiederum mittels Kryo-Elektronentomografie an, diesmal jedoch im Beisein der Missetäter, der uropathogenen E. coli-Bakterien. Es zeigte sich, dass die Uromodulin-Filamente die Pili der Erreger regelrecht umhüllen. Dabei kann ein einzelnes Uromodulin-Filament an mehrere Pili eines Bakteriums andocken. "Das neutralisiert die Erreger", erklärt Weiss. "Derart abgeschirmt können die Bakterien nicht mehr an die Zellen im Harntrakt binden und darum keine Infektion auslösen." Im Lichtmikroskop erkannte das Team außerdem, dass sich Große Klumpen aus hunderten von Uromodulin-Filamenten und E. coli-Zellen bilden, die dann vermutlich einfach mit dem Urin ausgeschieden werden.
Schließlich überprüften die Forschenden, ob all diese im Labor beobachteten Prozesse auch in Patienten ablaufen. Dazu analysierten sie Urin-Proben von infizierten Patienten, die ihnen das Kinderspital Zürich zur Verfügung gestellt hatte, und fanden genau die gleichen Interaktionen zwischen dem Uromodulin und den Erregern. "Ohne die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Forschungsgruppen und Instituten wäre es unmöglich gewesen, diese gesammelten Erkenntnisse zu gewinnen", betont ETH-Professor Martin Pilhofer, der die Elektronentomografie-Untersuchungen geleitet hat.
MEDICA.de; Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)