Dabei zeigte sich: Die Organoide der verschiedenen Abschnitte des Magen-Darm-Traktes schalten je nach der Gewebsidentität spezielle Gen-Programme an. "Es ist jedem intuitiv verständlich, dass Magen- und Darmzellen unterschiedliche
Enzyme zur Verdauung bilden müssen, aber uns hat überrascht, dass auch bestimmte Andockstellen des Immunsystems zu dieser Gewebsidentität gehören", sagt Bartfeld.
Organoide bieten ganz neue Möglichkeiten, molekulare Grundlagenprozesse an einem biologisch realistischen Modell zu erforschen, etwa des Magen-Darm-Trakts, auf den sich auch die Würzberger Gruppe um Bartfeld spezialisiert hat. Die Zellen, die unseren Verdauungstrakt auskleiden, die "Epithelzellen", haben eine wichtige Barrierefunktion, die unseren Körper vor dem Eindringen von Bakterien schützt. Zugleich wird der Darm von Billionen gutartigen Bakterien bevölkert (die Darmflora oder auch "Mikrobiota" genannt), die uns bei der Verdauung von Nahrung behilflich sind. Die Epithelzellen müssen somit in der Lage sein, sowohl freundliche als auch feindliche Bakterien wahrzunehmen und auf diese adäquat zu reagieren. Dies funktioniert über spezielle Immun-Andockstellen, die als "Mustererkennungs-Rezeptoren" (PRRs) bezeichnet werden.
Diese Immun-Andockstellen erkennen spezifische Moleküle, die von den unterschiedlichen Bakterien im Darm produziert werden. Werden Moleküle von gefährlichen Pathogenen erkannt, müssen die Epithelzellen Alarm schlagen und eine Immunantwort herbeiführen. Unklar ist bislang, wie das Epithel dabei zwischen Freund und Feind zu unterscheiden vermag. "Es ist ausgesprochen schwierig, die komplexen Interaktionen zwischen Immunzellen, Epithelzellen und
Mikroben zu entwirren", sagt Bartfeld. "Da aber unsere Organoide im Labor nur aus eben diesen Epithelzellen bestehen, können wir anhand der Organoide ganz reduziert beobachten, was das Epithel zu diesen Interaktionen beiträgt."
Bei ihren Untersuchungen fanden die Würzberger Forscher für jeden der untersuchten Mustererkennungsrezeptoren ein eigenes, segmetspezifisches Genaktivitäts-Muster. "Der Magen und jedes Segment im Darm hat ein eigenes, bestimmtes Repertoire von Erkennungsrezeptoren", sagt Özge Kayisoglu, Erstautorin der Studie. "Es kommt also auch bei der Immunantwort des Epithels auf die genaue Lage an. So reagiert der Magen auf andere baktierielle oder virale Stoffe, als der Dünn- oder Dickdarm." Diese Unterschiede in der Immunantwort könnten möglicherweise auch zu den segmentspezifischen Krankheiten wie Colitis ulcerosa beitragen.
Die naheliegende Vermutung der Forscher war zunächst, dass die Immunrezeptoren als Antwort auf die Besiedlung mit den gutartigen
Bakterien reguliert ist. Um diese Vermutung zu testen, stellten die Wissenschaftler Organoide von Zellen her, die noch nie in Kontakt mit Bakterien waren. "Die Daten zeigen, dass es durchaus einen Einfluss des Mikrobioms gibt – aber es war überraschend und faszinierend zu sehen, dass ein Großteil der Immunerkennung des Epithels rein entwicklungsbiologisch in den Genen festgeschrieben und unabhängig von der Umwelt ist", sagt Bartfeld.
MEDICA.de; Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg