Aus Sicht der Wissenschaftler der Jade Hochschule ist es nicht nur wichtig, die Lautstärke, ab der ein Kind ein sehr leises Geräusch wahrnehmen kann (Hörschwelle), sondern auch die Reife des beidohrigen (binauralen) Hörens zu überprüfen. Bei gängigen Tests werde zwar das Sprachverstehen mit technischem Störgeräusch, zum Beispiel Rauschen, überprüft, nicht aber, inwieweit Sprache in Abgrenzung zu anderen Sprachquellen oder Sprechergruppen verstanden wird. Ein Beispiel wäre die Situation im Klassenraum: Eine Lehrerin steht in der Mitte und spricht, rechts und links reden Kinder durcheinander. Mit dem neuen System ließe sich messen, inwieweit Kinder zwischen Sprache und Störgeräusch unterscheiden können. Auch ob der Störeinfluss auf das linke und rechte Ohr unterschiedlich wirkt, lässt sich feststellen, woraus sich dann zum Beispiel eine Sitzplatzempfehlung im Klassenraum ableiten ließe.
Zudem sei das Hören mit beiden Ohren Voraussetzung um die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, zu erkennen. „Besonders wichtig ist das Richtungshören unter anderem für die Sicherheit im Alltag, weil mögliche Gefahrenquellen beispielsweise im Straßenverkehr besser geortet werden können“, sagt die Wissenschaftlerin, die derzeit zu diesem Thema promoviert.
Gängige Tests werden bisher oftmals mit Kopfhörern durchgeführt – nicht immer erfolgreich, denn nicht alle Kinder mögen Kopfhörer. Anstatt unter Laborbedingungen kann mit dem neuen System das Hören unter alltagsnahen Bedingungen, zum Beispiel in der Situation im Klassenraum mit mehreren störenden Sprechergruppen, getestet werden. Zudem sind derzeit in der medizinischen Diagnostik nur maximal zwei Lautsprecher gleichzeitig aktiv. Das neue System verwendet deutlich mehr Lautsprecher und kann so akustische Reize sehr viel detaillierter und realitätsnäher simulieren – wodurch die Beurteilung der Hörleistung in Alltagssituationen ermöglicht wird.
Das in dem Forschungsprojekt „Perzeption und Lokalisation binauraler Information bei Kindern (PLOBI2go)“ entwickelte System kann auch dort genutzt werden, wo keine besonderen, schallgedämmten Räume zur Verfügung stehen - zum Beispiel in Kindergärten, Gesundheitsämtern, bei Kinderärzten oder auch in Inklusionsberatungs- oder sozialpädiatrischen Zentren. „Das gesamte Equipment passt in einen Koffer“, erklärt Schmidt. „Es ist leicht transportabel, robust und lässt sich in wenigen Minuten aufbauen.“ Die dazugehörige Software des gesamten Systems wurde als Forschungsversion entwickelt.
Ein System ist bereits fertig, vier weitere Prototypen werden den Kooperationspartnern im Frühjahr zur Verfügung gestellt. Die Felderprobung in Kindergärten und Schulen sollte eigentlich in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Friesland schon gestartet sein. „Leider sind die Testmöglichkeiten durch die Pandemie momentan natürlich stark eingeschränkt“, sagt Plotz. So können die Messungen derzeit nicht in Kindergärten oder Schulen, sondern nur in klinischen Einrichtungen stattfinden.
MEDICA.de; Quelle: Jade Hochschule - Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth