Die Folgen eines solchen Sturzes sind gravierend: Manche Menschen sterben an ihren Verletzungen oder an Entkräftung, wenn sie nicht rechtzeitig gefunden und versorgt werden können. Langzeitschäden bleiben nicht aus. Prof. Dr. Thorsten Jungeblut und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Justin Baudisch vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der Fachhochschule (FH) Bielefeld wollten dem eine technische Lösung entgegensetzen. Sie haben ein intelligentes System entwickelt, mit dessen Hilfe die Bewegungsabläufe einer Person aufgezeichnet und Anomalien frühzeitig erkannt werden. So kann das System beispielsweise Stürze erfassen und automatisch einen Notruf absetzen: Ein erster Schritt in Richtung mehr Sicherheit in den eigenen vier Wänden. Das Projekt, ein it’s OWL Transferpilot, nennt sich "Maschinelle Intelligenz für die Prädiktion von Interaktion anhand von Bewegungsdaten“ und hat ein Projektvolumen von 232.000 Euro und wird mit 100.000 Euro gefördert. Weitere 121.000 Euro trägt der Transferpartner Steinel.
"In erster Linie soll das System das Leben von älteren, pflegebedürftigen Menschen in den eigenen vier Wänden erleichtern und sichern“, erklärt Projektleiter Dr. Jungeblut, Professor für Industrial Internet of Things an der FH Bielefeld. "Gleichzeitig hat es das Potenzial das Pflegepersonal zu entlasten und die Qualität in der Pflege zu verbessern, indem es selbstständig den Zustand der Bewohnerin oder des Bewohners überwacht und bei Missständen dem Pflegepersonal Bescheid gibt oder sogar einen Notruf absetzt. So könnten pflegebedürftige Menschen künftig länger in ihrem eigenen Zuhause wohnen.“
Das Team der FH besteht aus insgesamt sechs Personen: Projektleiter Jungeblut, wissenschaftlicher Mitarbeiter Baudisch, drei studentische Hilfskräfte aus den Bereichen Data-Science, Kognitive Informatik und Maschinenbau sowie ein Praktikant aus dem Bereich Elektrotechnik. Diese ganz unterschiedlichen Bereiche werden benötigt, da im Projekt nicht nur eine Software entwickelt wird, sondern auch die Sensorik realisiert werden muss. Aber wie funktioniert das System?
Das von Prof. Dr. Jungeblut und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Justin Baudisch entwickelte Softwareprogramm sammelt Daten verschiedener Sensoren, die überall in der smarten Wohnung Kogni-Home – eine Musterwohnung, die 2014 aus einem Verbundprojekt entstand – angebracht sind. Dabei handelt es sich um handelsübliche Sensorik wie zum Beispiel Bewegungsmelder, die über Funk mit dem Hauptprogramm der KI kommunizieren. Das Projekt setzt dabei auf einfache, nachrüstbare Sensorik. "Ein großer Vorteil, wenn es um die spätere Umsetzung geht“, erläutert Baudisch. "So kann jede beliebige Wohnung mit der benötigten Hard- und Software ausgestattet werden.“
Aus den gesammelten Daten extrahiert das System zunächst das sogenannte Normalverhalten des Bewohners, also bestimmte Bewegungsabläufe und konkrete Aktivitäten des Alltags. Das dauert seine Zeit und erfordert maschinelles Lernen. Denn: Um eine Gruppe von Daten als Aktivität erkennen zu können, muss der Computer erst lernen, diese Zuordnung zu treffen. Dafür wird das System durch den Menschen trainiert, bis es die Entscheidung selbstständig treffen kann.
Sobald das System dann Aktivitäten erkennen kann und das Normalverhalten eines Bewohners oder einer Bewohnerin erlernt hat, ist es möglich, neue Sensordaten mit den bereits gelernten abzugleichen und so zu ermitteln, ob etwas Ungewöhnliches aufgetreten ist. Baudisch: "Durch die Anomalie-Erkennung soll das System beispielsweise automatisch feststellen, ob ein Bewohner oder eine Bewohnerin gestürzt ist. Wenn die Bewegungsmelder erkannt haben, dass die Person ins Badezimmer gegangen ist und das Bad bereits seit zwei Stunden nicht wieder verlassen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass etwas nicht stimmt. Dann kann das System das Pflegepersonal informieren oder gar einen automatischen Notruf absetzen.“
MEDICA.de; Quelle: Fachhochschule Bielefeld