Daher unterscheiden sich konventionelle Organoide von natürlichen Organen in ihren anatomischen Merkmalen, ihrer zelltypischen Zusammensetzung und wichtigen Funktionen. Nun haben Wissenschaftler einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Matthias Lütolf am Institute of Bioengineering der EPFL einen Weg gefunden, wie Stammzellen so "gelenkt" werden, dass sie ein Darmorganoid bilden, das genauso aussieht und funktioniert wie natürliches Gewebe. Die im Fachmagazin Nature veröffentlichte Methode macht sich die Fähigkeit von Stammzellen zunutze, zu wachsen und sich an einem röhrenförmigen Gerüst in einen mikrofluidischen Chip (einen Chip mit winzigen Kanälen, in welchen kleine Flüssigkeitsmengen präzise manipuliert werden können) entlang anzuordnen, das die Oberfläche von natürlichem Gewebe nachahmt.
Die Forscher der EPFL verwendeten einen Laser, um dieses darmförmige Gerüst in einem Hydrogel herzustellen. Neben seiner Rolle als Substrat, auf dem die Stammzellen wachsen können, gibt das Hydrogel auch die Form für die Bildung des Darmgewebes vor.
Nachdem sie in das darmähnliche Gerüst eingebracht wurden, breiteten sich die Stammzellen innerhalb von Stunden über das Gerüst aus und bildeten eine durchgehende Zellschicht mit charakteristischen Kypten und zottenähnlichen Bereichen. Dann kam es zur Überraschung: Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Stammzellen einfach "wussten", wie sie sich anzuordnen hatten, um einen funktionierenden Minidarm zu bilden.
"Es sieht so aus, als ob die Geometrie des Hydrogel-Gerüsts mit seinen kryptenförmigen Vertiefungen unmittelbar das Verhalten der Stammzellen steuert, so dass diese in den Vertiefungen gehalten werden und sich in Bereichen außerhalb der Vertiefungen differenzieren, genau wie natives Gewebe", kommentiert Lütolf.
Darmgewebe hat die höchsten Zellerneuerungsraten im Körper, weshalb sich große Mengen an abgestorbenen Zellen ablösen und im Lumen von herkömmlichen Organoiden ansammeln. Um diese über einen längeren Zeitraum zu kultivieren, müssen sie daher jede Woche in kleine Fragmente zerlegt werden. Langzeitstudien sind daher nicht möglich. "Mit dem neuen Mikrofluidik-System können wir nun diese Miniaturdärme wirksam perfundieren und ein langlebiges homöostatisches Organoidsystem schaffen, in dem das Neubilden und Absterben von Zellen in ausgewogener Weise erfolgt", sagt Mike Nokolaev, der erste Autor der Publikation.
Die Forscher zeigen, dass diese Miniaturdärme zahlreiche Funktionsmerkmale mit ihren In-vivo-Pendants gemeinsam haben. Beispielsweise können sie sich nach einer erheblichen Gewebeschädigung regenerieren, und sie können zur Modellierung von Entzündungsprozessen verwendet werden oder aber Wirt-Mikroben-Interaktionen ermöglichen, wie sie mit anderen in Labors gezüchteten Gewebemodellen bisher nicht durchführbar waren.
Ferner weist dieser Ansatz weit reichende Anwendungspotentiale für das Anzüchten von Miniaturgewebe aus Stammzellen anderer Organe wie Lunge, Leber oder Pankreas sowie von menschlichen Biopsien auf.
MEDICA.de; Quelle: Ecole Polytechnique Federale de Lausanne (EPFL)