Die bekannteste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems ist die Multiple Sklerose (MS), doch oft ist es schwierig, sie anhand klinischer Parameter frühzeitig von anderen entzündlichen Erkrankungen wie der Neuromyelitis optica, von Autoimmunenzephalitiden oder seltenen neuroinflammatorischen Erkrankungen wie dem Susac-Syndrom abzugrenzen. "Eine solche Differenzialdiagnose ist aber entscheidend, um frühzeitig die richtige Therapie einleiten zu können und so die Prognose der Patienten bestmöglich zu beeinflussen", erklärt Prof. Dr. Heinz Wiendl, international bekannter MS-Experte und Direktor der Klinik für Neurologie Münster. Verschiedene Arbeiten der letzten Jahre zeigen, dass die Frühtherapie bei MS Einfluss auf die spätere Behinderung bzw. die längerfristige Prognose hat. Entscheidende Bedeutung kommt aber auch der Frage zu, inwieweit es sich überhaupt um eine entzündliche Erkrankung mit Behandlungsnotwendigkeit handelt, eine Konstellation, die bei häufig durchgeführter MRT-Bildgebung und damit oft gefundenen "weißen Flecken im Gehirn" ein ständiges Problem darstellt.
Eine Studiengruppe des DFG-Sonderforschungsbereichs "Multiple Sklerose" (SFB TR128) in Münster unter Heinz Wiendl identifizierte Biomarker-Konstellationen im Nervenwasser, die die verschiedenen Erkrankungen gut voneinander abgrenzen lassen und die ohne sonstige zusätzliche diagnostische Maßnahmen eine hohe Sensitivität und Spezifität haben. In einer aktuell in der Fachzeitschrift "Brain" publizierten Arbeit wurden die Ergebnisse der cross-sektionalen Beobachtungsstudie publiziert. Insgesamt waren Proben von 777 Patienten mittels Durchflusszytometrie analysiert worden und mithilfe eines selbstlernenden Systems wurden zum einen Veränderungen identifiziert, die typisch für Entzündungskrankheiten des zentralen Nervensystems sind, und zum anderen auch erkrankungsspezifische Veränderungen, die eine Differenzialdiagnose erlauben. Beispielsweise zeigte sich, dass der gleichzeitige Nachweis von Plasmazellen im Nervenwasser und einer intrathekalen IgG-Synthese mit einer 82%igen bis 91%igen Sicherheit eine schubförmige MS diagnostizieren und von einer Neuromyelitis optica oder einem Susac-Syndrom sicher abgrenzen kann, ohne dass weitere, beispielsweise auch klinische Parameter hinzugezogen werden müssten.
Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, kommentiert dieses Ergebnis folgendermaßen: "Die Arbeit hat deutlich gemacht, welches Potenzial die Liquordiagnostik für die frühe und spezifische Befundung von neurologischen Krankheiten hat. Zuverlässiger als bildgebende Verfahren konnten hier Biomarker-Konstellationen im Nervenwasser identifiziert werden, die wesentlich zur Differentialdiagnose von Entzündungskrankheiten des zentralen Nervensystems beitragen und damit die frühzeitige Einleitung der Therapie erlauben. Medizinischer Fortschritt wird oft nur mit der Entwicklung neuer Medikamente gleichgesetzt, doch ebenso wichtig ist die Entwicklung und Ausreifung von diagnostischen Tools, um eine möglichst zielgerichtete und damit effektive Behandlung gewährleisten zu können."
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.