Notfallmedizin: Hirnschlag bei Schwindelpatienten zuverlässig bestimmen
Notfallmedizin: Hirnschlag bei Schwindelpatienten zuverlässig bestimmen
18.05.2021
Die schnelle und korrekte Diagnose eines Hirnschlags als Ursache für akuten Schwindel in der Notfallaufnahme ist von höchster Priorität. Einem Forschungsteam des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern ist es gelungen, einen zuverlässigen Indikator im Zusammenhang mit den spontan auftretenden Augenbewegungen (Nystagmus) zu ermitteln und zu testen.
Nach einem Schlaganfall kann mit einer Videobrille die unvollständige Unterdrückung des Nystagmus bei Licht nachgewiesen werden. Übersehene und verpasste Schlaganfälle haben in vielen Fällen bleibende neurologische Schäden zur Folge.
Vorrichtung bei der Entwicklung des neuen Tests: Eine Videobrille, ein umgebauter Papierkorb und ein Tablet reichen technologisch vollständig aus.
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Das kann ein lebensgefährdendes Ereignis in einer das Hirn versorgenden Blutbahn sein oder dramatische Erkrankungen, wie ein Wallenberg-Syndrom oder ein Locked-in-Syndrom, das mit dem Ausfall praktisch der gesamten Bewegungssteuerung einhergeht. Der korrekten, frühzeitigen Diagnose des Schlaganfalls im Hirnstamm bzw. im Kleinhirn als Ursache für einen akuten Schwindel kommt deshalb hohe Priorität zu.
Sowohl bei einem «gutartigen» Schwindel infolge einer Funktionsstörung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr bei einer vestibulären Neuritis als auch bei einem Schwindelanfall in der Folge eines Hirnschlags im Kleinhirn oder im Hirnstamm treten im Dunkeln spontane, unkontrollierte Augenbewegungen (Nystagmus) auf. Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Georgios Mantokoudis der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (HNO) benutzte ein Gerät bestehend aus einer Videobrille und einem Tablet, das die genaue Bestimmung der Intensität der Augenbewegung in der Zeitachse nach einem Lichtwechsel erlaubte. Diese Vorrichtung löst die Intensität der Bewegung und den zeitlichen Verlauf der Fixierung der Augen genauer auf, als dies die Beobachtung von bloßem Auge vermag.
Mit der Apparatur in der Versuchsanordnung konnte gezeigt werden, dass bei allen Patienten die spontanen Augenbewegungen bei Licht noch sichtbar waren, sich jedoch im Vergleich zum Test im Dunkeln reduzierten. Es gab einen klaren Unterschied in der Stärke der Unterdrückung des Nystagmus: Hirnschlagpatienten verringerten die Augenbewegungen nach dem Übergang ins Licht weniger. Patienten mit einer «gutartigen» Ursache des Schwindels konnten dagegen den Nystagmus beim Wechsel ins Licht vollständiger unterdrücken (supprimieren). Als bestes Unterscheidungsmerkmal konnte die Verringerung um weniger als zwei Winkelgrade pro Sekunde bei Hirnschlag bestimmt werden. Die Auswertung ergab eine hohe Zuverlässigkeit und Aussagekraft der Unterdrückung der spontanen Augenbewegung, der sogenannten Nystagmussuppression. Damit wurde ein weiterer Test für eine zuverlässige Triage gefunden.
Bei der Differentialdiagnose zur Unterscheidung eines «gutartigen» Schwindelanfalls aufgrund einer vestibulären Neuritis von einem Schwindel, der durch einen Schlaganfall im Hirnstamm bzw. im Kleinhirn verursacht wird, kommt eine Serie von Tests zur Anwendung (HINTS-Test). Die Untersuchung des Grades der Nystagmussuppression beim Wechsel von Dunkel zum Licht ist dabei ein neues, zusätzliches Element. Der Einsatz einer Videobrille ergibt zuverlässige Resultate und ist zudem für die Patientin und den Patienten wesentlich angenehmer, schneller, kostengünstiger und der Situation besser angepasst als die Erstellung eines MRI-Bildes. Weiter kann mit dem neuen Nystagmussuppressions-Test lebenswichtige Zeit in der Frühphase nach einem Ereignis gewonnen werden. Damit können Folgeschäden durch nicht erkannte Hirnschläge weiter reduziert werden.
Weiter sollen Algorithmen der Künstlichen Intelligenz so trainiert werden, dass die Ergebnisse der Nystagmus-Untersuchung mittels Videobrille direkt ausgewertet werden und die Resultate den untersuchenden Ärzten praktisch in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden können.