„CXCR4“ heißt jene Antenne – der molekulare Rezeptor hatte in den vergangenen Jahren eine hitzige Debatte unter Experten in Gang gehalten, weil sein Beziehungsstatus Rätsel aufgab. Trat er als Single auf oder doch als Paar? Und was macht den Unterschied? Ein Forschungsteam in der AG „Signalprozesse von Rezeptoren“ am MDC hat nun erstmals das Rätsel um seinen Beziehungsstatus gelöst. Die Ergebnisse veröffentlichte kürzlich das Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
„Wenn CXCR4 in großer Zahl auf Krebszellen zu finden ist, sorgt er unter anderem dafür, dass diese wandern können. Er legt damit eine Basis für Metastasen“, sagt Erstautor Isbilir. Metastasen sind bekanntlich schwer zu therapieren; oftmals sterben Patienten an den Folgen der Tochtergeschwulste.
Auch bei jeder Entzündung ist CXCR4 mit von der Partie. Der Entzündungsherd setzt Botenstoffe aus der Klasse der Chemokine frei. Diese sorgen in den Lymphknoten dafür, dass Immunzellen sehr viele CXCR4-Antennen auf ihrer Hülle ausbilden. Mithilfe dieser Antennen orten Immunzellen den Entzündungsherd und wandern zu ihm hin. Auf diese Fähigkeit verweist im Übrigen auch der Name CXCR, der für „Chemokinrezeptor“ steht. „Solche Rezeptoren sind die wichtigsten Zielstrukturen in der Pharmaforschung“, betont Professor Martin Lohse, der Letztautor der Studie. „Ungefähr ein Drittel der Arzneien adressieren diese Klasse von Rezeptoren.“
Ob solche Rezeptoren als Paar oder Single vorliegen, ist damit nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die Pharmabranche zentral. Mit neuen Methoden der optischen Mikroskopie konnte das Team diese Frage nun erstmalig beantworten. CXCR4 legt sich offenbar nicht fest: Er kommt vorübergehend paarweise (als transientes Dimer), dann wieder alleine (als Monomer) vor.
Der Beziehungsstatus hängt maßgeblich davon ab, wie viele der CXCR4-Rezeptoren auf einer Zelle sitzen, wies das Team nach. Ist die Zelloberfläche dicht besetzt, formieren sich mehr Paare. Sind nur wenige Rezeptoren vorhanden, bleiben diese häufiger alleine. Zugleich konnten die Forschenden zeigen, dass bestimmte Arzneien, die als CXCR4-Blocker wirken, die Paarbildung unterdrücken können. „Man nimmt an, dass die CXCR4-Paare schlecht für die Gesundheit sind. Ob das wirklich so ist, können wir mit unseren neuen mikroskopischen Methoden prüfen“, erläutert Lohse.
Die Fluoreszenzfluktuationsspektroskopie ermöglichte es zusätzlich, den Beziehungsstatus bei Zellen zu messen, die sehr viele Rezeptoren hatten. Das Besondere: Dazu mussten die Forschenden ein Verfahren entwickeln, um alle Rezeptoren effizient zu markieren.
„Das Spannende ist, dass wir mit diesen Fluoreszenzmethoden nun lebende Krebszellen untersuchen können. Wir können herausfinden, ob CXCR4 dort paarweise oder alleine vorkommt“, sagt Annibale, der Co-Leiter der Arbeitsgruppe und ebenfalls Letztautor der Studie in „Nature Protocols“ ist. „Und dann können wir CXCR4-Blocker für Paare und Singles einsetzen und prüfen, welche wirksamer gegen Tumore sind. So können hoffentlich spezifischere Krebsmedikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden.“
MEDICA.de; Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft