"Bei der Operation setzt die Medizin bislang auf Standardimplantate", erklärt der Ingenieurwissenschaftler Professor Stefan Diebels von der Universität des Saarlandes. Eine Schiene in Standardgrößen wird mit den Knochenstücken verschraubt. Wie viele Schrauben der Chirurg verwendet und wo diese platziert werden, entscheidet er aufgrund seiner Erfahrungswerte.
Eine neue Therapie, die an den individuellen Bruch angepasst ist, kann die Heilung verbessern und gefürchtete Komplikationen vermeiden: Das Verfahren haben Professor Diebels und Michael Roland gemeinsam mit den Informatikern Professor Philipp Slusallek und Tim Dahmen an der Universität des Saarlandes und am DFKI entwickelt. Zusammengearbeitet haben sie dabei mit Medizinern der Universität Witten/Herdecke und Partnern aus der Wirtschaft.
Die Forscher können jedem Patienten und jeder Patientin das eigene Implantat maßangefertigt auf den gebrochenen Knochen "schneidern". Sämtliche Prozesse von der automatischen Auswertung der Computertomographie-Aufnahmen bis zum fertigen Implantat aus dem 3D-Drucker haben sie so abgestimmt, dass der Patient oder die Patientin nach wenigen Tagen, sobald das Bein soweit abgeschwollen ist, operiert werden kann. So heilt der Bruch schneller und es kann besser zusammenwachsen, was zusammengehört.
"Mediziner können unser Verfahren nutzen, um die besten Behandlungsoptionen zu bewerten", erklärt Professor Philipp Slusallek. Mit bildgebenden Verfahren und Simulationen machen er und seine Arbeitsgruppe hierzu Belastungsmuster sichtbar und anschaulich.
Hierfür werteten die Informatiker zahlreiche Computertomographie-Datensätze echter Brüche aus: Sie brachten dem Computer bei, auf den Aufnahmen wie ein erfahrener Chirurg Gewebe, Luft, Metall oder störende Artefakte zu unterscheiden. Flankierend sammelten die Ingenieure in einer Vielzahl von Versuchen und Ganganalysen Belastungsdaten echter Knochen, die erst gebrochen und dann im Versuchsstand vielfältig belastet wurden.
"Um die im Implantat und in der Knochenstruktur auftretenden Spannungen und Dehnungen zu berechnen, entwickeln wir Simulationsverfahren, die altbekannte Finite-Elemente-Methoden effizient auf aktueller Hardware implementieren und mit neuartigen Verfahren des Maschinellen Lernens kombinieren", erklärt der promovierte Informatiker Tim Dahmen. Mit den Erkenntnissen trainierten sie neuronale Netze und überführten alles in simulationstaugliche 3D-Modelle, an denen die Belastungsverteilung sichtbar wird.
Das Team interessierte vor allem, was bei Belastung im Frakturspalt passiert: Um zu heilen, braucht der Knochen hier eine gewisse Belastung, sonst fehlt der Wachstumsanreiz. Zu viel aber schadet. "Im Frakturspalt müssen Mikrobewegungen erfolgen können. Also muss das Implantat so gestaltet sein, dass ein genau austariertes Spiel möglich ist", sagt Tim Dahmen.
Die Simulationen werden durch Künstliche Intelligenz ergänzt, die eine schnelle und automatisierte Auswertung der Modelle unterstützt. So können jetzt Brüche und Implantate individuell auf Belastbarkeit an den kritischen Stellen überprüft und so das ideal geformte Implantat berechnet werden, dass dann 3D-gedruckt werden kann.
MEDICA.de; Quelle: Universität des Saarlandes