Oft aktiviert es dazu nicht nur die benachbarten Regionen, sondern auch die Schwesterareale auf der anderen Hirnseite. Die tragen bis dahin meist wenig zu der eigentlichen Fähigkeit bei und werden von der dominanten Hälfte in Schach gehalten – bis der Notfall eintritt.
Bis zu 15 Prozent der Betroffenen erleiden jedoch einen zweiten Schlaganfall. Unklar war bislang, ob die Reperaturmechanismen auch dann einsetzen, das Gehirn also seine Anpassungsfähigkeit behält. Zudem war man sich uneins darüber, ob eine aktivierte rechte Hirnhälfte generell gut für die Heilung ist. Einige Studien legen zwar nahe, dass eine Einbindung der rechten Hirnhälfte zumindest kurzfristig bei der Erholung hilft. Andere hatten aber gezeigt: Ein Ausfall von Spracharealen in der linken Hälfte, kann die rechte regelrecht enthemmen. Die trägt dann etwas bei, was nichts mit Sprache zu tun hat und sorgt für Verwirrung. Das Gehirn gerät aus dem Takt.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun herausgefunden, dass das Gehirn auch bei einer zweiten Störung der linken Sprachareale seine Aktivität in den Schwesterarealen auf der rechten Seite hochfährt. "Im erholten Gehirn war deren Beitrag nach der ersten Läsion noch nicht groß. Bei der zweiten Störung, bei der große Teile der linken Hirnhälfte außer Kraft gesetzt sind, wird ihr Anteil jedoch viel stärker", erklärt Gesa Hartwigsen, Forschungsgruppenleiterin am MPI CBS und Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation, die jetzt im renommierten Open Access Magazin elife erschienen ist.
Untersucht haben die Wissenschaftler diese Zusammenhänge mithilfe von 12 Patienten, bei denen die Regionen zur Verarbeitung von Lauteigenschaften in der linken Hemisphäre durch einen ersten Schlaganfall verletzt waren. Der lag jeweils etwa sechs Monate zurück. Ihr Gehirn hatte somit Gelegenheit sich zu regenerieren und der neuen Situation anzupassen. Die zweite Störung simulierten die Forscher mithilfe der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation, mit der bestimmte Hirnareale durch elektrische Reize gezielt kurzzeitig gestört werden können.
Dabei zeigt sich: Je mehr die Areale zur Lautverarbeitung auf der linken Seite beeinträchtigt waren, desto höher war die Aktivität in den Pendants der rechten Hirnhälfte. Umso stärker zudem bei einem Patienten die Faserverbindung zwischen den aktivierten Schwesterarealen der rechten Seite ausgebildet war, desto besser schnitt er in den Aufgaben ab - desto weniger beeinträchtigte ihn also die Störung auf der linken.
Die Erkenntnisse darüber, wie sich das geschädigte Gehirn an eine weitere Störung anpasst, könnten langfristig helfen die Therapie von Schlaganfallpatienten zu verbessern. "Damit lässt sich womöglich irgendwann einschätzen, ob es hilfreicher wäre, bestimmte Areale gezielt hoch- oder runterzuregulieren", gibt Hartwigsen zu verstehen.
MEDICA.de; Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften