Bei den meisten Schlaganfällen liegt ein Hirninfarkt vor, eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung im Gehirn, die durch einen Gefäßverschluss verursacht wird. Bei diesem sogenannten ischämischen Schlaganfall gilt es, die Durchblutung so schnell wie möglich wiederherzustellen, um zu vermeiden, dass minderdurchblutetes Gehirngewebe abstirbt.
Dafür stehen die sogenannte Thrombolyse und bei größeren Blutgerinnseln die Thrombektomie (eine mechanische Rekanalisation) als Behandlungsverfahren zur Verfügung. Die Thrombolyse, auch unter Lyse bekannt, besteht aus der Infusion eines Enzyms, das Blutgerinnsel in den Hirnarterien auflösen kann. Zugelassen ist sie derzeit innerhalb von 4,5 Stunden nach Einsetzen von Symptomen eines Schlaganfalls, wie beispielsweise Lähmungen. Für Patienten, die im Schlaf einen Schlaganfall erlitten haben, war eine Lysetherapie bislang nicht möglich, da sich der Zeitpunkt des Schlaganfalls nicht genau ermitteln lies.
"Die strikte Zeitgrenze von 4,5 Stunden für die Lysetherapie wird jedoch nicht allen Patienten gerecht", sagt Professor Armin Grau, 1. Vorsitzender der DSG und Direktor der Neurologischen Klinik mit Klinischer Neurophysiologie am Klinikum der Stadt Ludwigshafen. "Je nach der individuellen Durchblutungssituation von Patienten können sich auch Behandlungsmöglichkeiten jenseits der 4,5 Stunden-Grenze ergeben, wie kürzlich unter anderem die australische EXTEND-Studie gezeigt hat." Die Studie wies nach, dass Patienten bis zu neun Stunden nach einem Schlaganfall von einer Lyse profitieren können, wenn rettbares Hirngewebe vorliegt.
Aufschluss darüber gaben erweiterte bildgebende Verfahren: "Mittels Perfusionsuntersuchungen im Kernspintomogramm (MRT) oder CT kann man heute die minderdurchbluteten Areale mit dem sogenannten Infarktkern vergleichen", erläutert Professor Grau. "So lässt sich erkennen, wie viel Hirngewebe nicht mehr zu retten ist und wie viel Gewebe zwar minderdurchblutet, aber noch zu erhalten ist."
In die EXTEND-Studie wurden 225 Patienten mit ischämischem Schlaganfall eingeschlossen, die in der Perfusionsbildgebung rettbares Hirngewebe gezeigt hatten. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie zwischen 4,5 und 9,0 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls oder beim Erwachen mit Schlaganfall (innerhalb von neun Stunden ab dem Mittelpunkt des Schlafes) eine Lyse oder ein Placebo. Für die Patienten, die die Lyse-Therapie erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes klinisches Ergebnis ohne relevante bleibende Beeinträchtigungen zu erreichen im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 44 Prozent höher.
Im Rahmen der Pressekonferenz am 8. Oktober in Berlin erörtern die Experten die aktuelle Studienlage und auch, was davon bislang schon Eingang in die klinische Praxis gefunden hat. Zudem geht es um eine neue Therapieoption für Patienten, für die weder Thrombolyse noch Thrombektomie möglich ist, ebenfalls jenseits des Zeitfensters von 4,5 Stunden: Die elektrische Stimulation des Flügelgaumen-Ganglions, einer Umschaltstation des Nervensystems, die Blutgefäße im Gehirn weit stellen kann.
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)