Für die Studie nehmen er und sein Team eine spezielle Patientengruppe in den Fokus: Kinder in den ersten Lebenswochen und -monaten, die so krank sind, dass sie auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. "Die Ursache für ihre Symptome ist oft nicht klar. und es kann keine eindeutige Diagnose gestellt werden", erklärt Dr. Alexander von Gise, einer der an der Studie beteiligten Kinderintensivärzte. Ohne eine genaue Diagnose ist aber keine gezielte Behandlung möglich, es folgt oft ein langer Leidensweg und eine Ärzte-Odyssee.
Genau hier setzt die Baby Lion-Studie an, die erste Studie dieser Art im deutschsprachigen Raum. "Es gibt heute die Möglichkeit, das menschliche Genom in wenigen Tagen komplett zu entschlüsseln", erklärt Auber. Expertinnen und Experten sprechen dabei von einer Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS). Mithilfe dieser sehr umfangreichen und technisch anspruchsvollen Diagnostikmethode, bei der riesige Datenmengen erzeugt werden, können auch extrem seltene genetisch bedingte Krankheitsbilder identifiziert werden. In der Studie möchten die Expertinnen und Experten der Genetik und Kinderheilkunde aber nicht nur das Genom der kranken Kinder entschlüsseln, sondern auch das der beiden Elternteile. Mit dieser Trio-Ganzgenomsequenzierung können die drei Genome ganz genau miteinander verglichen werden und relevante genetische Veränderungen beim Kind schnell erkannt werden.
"Trotz der großen Datenmengen innerhalb weniger Tage zu einer Diagnose zu kommen, wäre gerade auch bei schwer kranken Neugeborenen eine große Hilfe", meint Prof. Bettina Bohnhorst, Leiterin der Neugeborenenintensivstation der MHH. In den USA und anderen Ländern wurden mit dieser neuartigen Diagnostikmethode bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. "Bei bis zu 40 Prozent der untersuchten Kinder konnte die Diagnose einer genetisch bedingten Erkrankung gestellt werden", berichtet Dr. Michael Sasse, der Leiter der pädiatrischen Intensivstation der MHH. "Dank der frühzeitigen und sicheren Diagnose ist es möglich, den Kindern und ihren Familien schneller gezielt zu helfen. In seltenen Fällen kann bereits jetzt mit einer spezifischen Therapie begonnen werden." Leidenswege können verkürzt und unnötige Therapien und Untersuchungen vermieden werden.
Nun möchte das Team um Auber herausfinden, ob sich diese Erkenntnisse auch auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen lassen. Unterstützt wird das Projekt durch das Unternehmen Illumina, Hersteller von Geräten für genetische Diagnostik und führend auf dem Gebiet der Gensequenzierung. In die Studie sollen innerhalb eines Jahres 100 Kinder und ihre Eltern eingeschlossen werden. Dabei handelt es sich um Familien, die auf den Intensivstationen der Kinderklinik der MHH und in anderen niedersächsischen Krankenhäusern betreut werden. Bei der Studie arbeiten die Genetikerinnen und Genetiker eng mit den Kolleginnen und Kollegen der neonatologischen und kinderintensivmedizinischen Stationen zusammen.
MEDICA.de; Quelle: Medizinische Hochschule Hannover