Knochenbrüche sind schmerzhaft und meist eine langwierige Sache. Gerade Unterschenkel- und Trümmerfrakturen, oft Folge eines Autounfalls, machen den Betroffenen lange zu schaffen. "Nach der Operation, bei der die Bruchstücke mit einer Schiene verschraubt werden, wissen wir heute lange Zeit nur wenig über den Verlauf der Heilung. Wir können auch nicht aktiv eingreifen. Erst nach Wochen gibt ein Röntgenbild Einblick, ob der Knochen gut verheilt und ob sich neues Knochengewebe gebildet hat", erklärt Professor Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes.
Zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen will das Team um Professor Pohlemann an der Universität des Saarlandes die Therapie solch komplizierter Knochenbrüche revolutionieren:
Dies soll den Patienten schneller wieder auf die Beine helfen und zugleich die Behandlungskosten senken. "Neben den Schmerzen und den massiven Einschränkungen, die ein solcher Bruch mit sich bringt, kann die Therapie im ungünstigen Fall schnell Kosten in sechsstelliger Höhe verursachen", erklärt Pohlemann.
Die neuartige Idee: Ein speziell auf die einzelnen Patienten zugeschnittenes Implantat soll nach der Operation ohne Weiteres automatisch Informationen darüber liefern, wie die Bruchstelle verheilt, und außerdem gezielt und aktiv die Knochenheilung positiv beeinflussen, indem es sich von selbst nach Bedarf bewegt oder versteift.
"Wir haben in Vorstudien herausgefunden, dass Frakturen schneller heilen, wenn die Bruchstelle durch Bewegung stimuliert wird. Unsere Vision ist - salopp gesagt - ein Implantat, das Tag und Nacht die optimale Krankengymnastik macht und so den Knochen schneller und besser heilen lässt“, erklärt Tim Pohlemann.
Auch soll das Implantat warnen, wenn etwa der Knochen zu stark belastet wird. Das Team um Professor Pohlemann arbeitet hierfür an der Universität des Saarlandes eng zusammen mit dem Ingenieur Professor Stefan Diebels und dessen Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Technischen Mechanik, mit dem Informatiker Professor Philipp Slusallek und seinem Team an Uni und am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie mit den Spezialistinnen und Spezialisten für intelligente Materialsysteme um Professor Stefan Seelecke an Uni und Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA).
In spätestens fünf Jahren soll ein Implantat-Prototyp entwickelt sein. Unterschenkelfrakturen, als bekannt komplexe Verletzung, dienen als Versuchsfall. Bereits seit Langem arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, herauszufinden, wie genau sich nach einer Fraktur die Belastung beim Gehen auf die Heilung auswirkt. So erfassen sie mit Sensor-Einlegesohlen über lange Zeit bei jedem Schritt von Patientinnen und Patienten 60 verschiedene Parameter.
Mit Methoden Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens erstellen sie aus den so gewonnenen Daten Belastungsmuster, anhand derer sie Rückschlüsse auf Heilung oder Störungen ziehen können. "Ziel ist es, die individuelle Fraktur berechenbar zu machen und die optimale Therapie für jeden Patienten und jede Patientin zu ermöglichen", formuliert Professor Philipp Slusallek die Vision des Projektes.
MEDICA.de; Quelle: Werner Siemens-Stiftung und Universität des Saarlandes