Er stellte heute im Vorfeld des 65. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) vom 10.‒12. März 2021 die neuesten Entwicklungen auf dem Feld der Tiefen Hirnstimulation bei Bewegungsstörungen vor.
Viele neurologische Erkrankungen sind Ausdruck einer gestörten Kommunikation zwischen verschiedenen motorischen Hirnarealen. Man spricht von Netzwerkerkrankungen. Für diese Erkrankungen steht eine Reihe vielversprechender Behandlungsverfahren zur Verfügung, darunter die Tiefe Hirnstimulation mit Schrittmachersystemen, die durch die gezielte Stimulation von Nervenzellen die motorische Netzwerkaktivität regulieren und damit heute schon erfolgreich Symptome von Patienten mit Parkinson, schwerem Zittern oder Dystonien lindern können. Das Stichwort lautet Neuromodulation. Derzeit wird die THS auch für psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Zwangserkrankungen entwickelt. „Netzwerkerkrankungen des Nervensystems sind allerdings nur dann in den Griff zu bekommen, wenn die Medizin lernt, mit großen Datenmengen umzugehen und künstliche Intelligenz einzusetzen“, betont Volkmann. Es tue sich derzeit ein großes neues Berufsbild des Medical Data Scientists auf.
„Neuere Ansätze der Neuromodulation zielen jetzt darauf ab, die zeitliche Dynamik gestörter Netzwerkaktivität zu erfassen und dann adaptiv zu stimulieren, wann immer fluktuierende Symptome es erforderlich machen“, so Jens Volkmann. Das Implantat ist damit gleichzeitig Sensor und stimulierende Elektrode. Es erkennt über intelligente Algorithmen krankhafte Erregungsmuster und greift gezielt ein. Für die PatientInnen mit einem Parkinson- oder essenziellen Tremor bedeutet dies, dass der Hirnschrittmacher das Zittern nur dann „ausschaltet“, wenn notwendig – und ohne dabei kollateral die intakten Gehirnfunktionen zu stören. Auf diese Weise sollen die Nebenwirkungen der Tiefen Hirnstimulation wie Dysarthrie (Sprachstörungen) oder Ataxie (unkoordinierte Motorik) deutlich reduziert werden. Bei anderen Indikationen sollen beim Patienten bestimmte Bewegungen erkannt werden, bei denen eine schonendere Stimulation ausreichend ist, wie beispielsweise beim Gehen. „Man kann es so vergleichen: Die ersten Systeme der Neuromodulation waren Produkte der Montanindustrie. Was wir erreichen wollen, ist eine Bearbeitungspräzision wie die der Uhrmacherei“, sagt Professor Volkmann.
Finanziell unterstützt wird diese Entwicklung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG. Sie fördert seit Kurzem den Sonderforschungsbereich/Transregio RETUNE mit 12 Millionen Euro in den ersten 4 Jahren. Prof. Volkmann ist neben der Sprecherin des SFB, Professorin Andrea Kühn aus Berlin, einer der beiden Principal Investigators dieser Kooperation der Neurologischen Universitätskliniken in Würzburg und der Charité. Ebenfalls beteiligt sind Grundlagen- und klinische WissenschaftlerInnen von der Hebrew University of Jerusalem, der Universität Düsseldorf, des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, der Universität Potsdam und der Universität Rostock.
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung