Diese Modellvorhersagen sollen der Ausgangspunkt sein, um den Einsatz reduzierter Medikamentengaben in klinischen Studien zu überprüfen. Dies könnte für viele CML-Patienten zu einer verbesserten Lebensqualität führen und gleichzeitig die Therapiekosten senken. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Fachmagazin Haematologica veröffentlicht.
Patienten, die an einer Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) erkrankt sind, müssen nach heutigem Standard lebenslang Medikamente, sogenannte Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), einnehmen, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten. Dies führt vor allem dann zu Problemen, wenn Nebenwirkungen auftreten, die die Patienten langfristig beeinträchtigen. Diese können das Herz-Kreislaufsystem, die Lunge oder den Magen-Darm-Trakt betreffen. Bei Kindern und Jugendlichen sind Wachstumsverzögerungen möglich. Zudem verursachen die Medikamentengaben für das Gesundheitssystem hohe Kosten. Bislang wurde in Studien lediglich untersucht, ob die Medikamente bei Patienten mit besonders günstigem Krankheitsverlauf nach einigen Jahren komplett abgesetzt werden können. "Wir konnten mithilfe unseres mathematischen Modells nun vorhersagen, dass die Medikamentendosis bei einer sehr großen Patientengruppe – im Fall der analysierten Studiendaten bei 80 bis 90 Prozent – um die Hälfte reduziert werden könnte, ohne die Wirkung des Medikaments zu beeinträchtigen", sagt Dr. Ingmar Glauche vom Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der TU Dresden.
Bei der Behandlung der Chronischen Myeloischen Leukämie spielt es nach heutigem Kenntnisstand eine entscheidende Rolle, ob sich die im Körper vorhandenen Krebsstammzellen teilen und dadurch schnell vermehren oder ob sie sich in einem Ruhezustand – ohne aktive Zellteilung – befinden. Es ist bekannt, dass sich nur die teilungsaktiven Tumorzellen zielgerichtet und effektiv mit Tyrosinkinaseinhibitoren bekämpfen lassen. "Bildlich gesprochen haben wir zwei Töpfe mit unterschiedlichen Krebszellen – aktive und ruhende. Schon nach einer relativ kurzen Therapiedauer von etwa einem Jahr ist der Topf mit den aktiven Zellen weitgehend leergeräumt. Unser Modell lässt den Schluss zu, dass dann auch eine viel geringere Medikamentendosis ausreichend ist, um die Zellen, die nach und nach aus dem ruhenden Topf in den aktiven Topf wechseln, zu attackieren und die Krankheit so langfristig unter Kontrolle zu halten. Die Hälfte der bisher verwendeten Standarddosis dürfte hierbei bei der Mehrzahl der Patienten ausreichend sein", erklärt Prof. Ingo Röder, Direktor des Instituts für Medizinische Biometrie und Statistik der TU Dresden. In das Modell flossen Daten zum individuellen Therapieverlauf der Patienten aus mehreren klinischen Studien ein.
Die Modellvorhersagen der Theoretiker um Röder und Glauche prognostizieren, dass der Anteil an Tumorzellen nach Drosselung der Medikamentendosis zunächst geringfügig ansteigt. Allerdings handelt es sich hierbei, laut Modell, nur um einen vorübergehenden Effekt. Schon nach einigen Monaten reduziert die geringere Dosis den Anteil an Tumorzellen in gleichem Maße wie die ursprüngliche Dosis. "Eine verringerte Medikamentendosis wäre gerade für Kinder mit CML ein deutlicher Fortschritt. Denn die Medikamente beeinträchtigen das Knochenwachstum bei Kindern vor der Pubertät besonders stark. Eine Reduktion der Medikamentengabe würde diesen Effekt minimieren", erläutert Prof. Meinolf Suttorp, Senior-Professor für pädiatrische Hämato-Onkologie an der TU Dresden.
MEDICA.de; Quelle: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden