Die Forscher kreierten ein mathematisches Modell, um die Wechselwirkungen innerhalb einer Schicht von Zellen auf einem Substrat, ähnlich einer Hautschicht, zu beschreiben. Diese Zellen enthalten Signalproteine, die es ihnen ermöglichen, andere Zellen um sie herum chemisch wahrzunehmen, also ob an ihnen gedrückt oder gezogen wird, und ihre eigene Bewegung zu kontrollieren. Die Wissenschafte fanden heraus, dass das komplexe Zusammenspiel von Zellbewegung, Wahrnehmung der Umgebung und Proteinaktivierung innerhalb der Zellen zu gekoppelten mechanischen und chemischen Wellen führt, in denen die Information über ihre Richtung kodiert ist.
Die mechanische Welle tritt als Bereiche von mehr oder weniger Zellendichte in Erscheinung, die sich durch die Zellschicht bewegen. Die chemische Welle erscheint als Proteinaktivität und wird durch Zellbewegung und mechanische Rückkopplung ausgelöst. Diese chemischen Prozesse in den Zellen treiben wiederum Veränderungen der Zellform und ihre Bewegungen an und erzeugen damit eine Feedbackschleife. In diesem gekoppelten System entstehen die mechanischen und chemischen Wellen spontan durch Rückkopplung und Verstärkung.
In einer normalen unverwundeten Zellschicht breiten sich diese Wellen in zufällige Richtungen aus, aber wenn auf einer Seite eine künstliche Wunde eingebracht wird, orientieren sich die Wellen neu und breiten sich ausschließlich von der Wunde weg aus. Die ForscherInnen stellten daher die Hypothese auf, dass die Wellen ein Kommunikationsmittel sein könnten, das es den Zellen ermöglicht, sehr weit von der Wunde entfernt zu spüren, in welche Richtung sie sich bewegen sollen.
Eine Dichtewelle veranlasst die Nachbarn einer Zelle, diese entlang der Ausbreitungsrichtung der Welle zu schieben und zu ziehen. Da die Kräfte, die auf die Zelle ausgeübt werden, bei jedem Wellenberg und -tal gleich und entgegengesetzt sind, hat dies zur Folge, dass sich die Zelle nur kleine Strecken hin und her bewegt, ohne dass sie sich insgesamt fortbewegt. Tatsächlich hat die Zelle keine Möglichkeit, die Richtung zu erkennen, aus der die Welle kommt, und hat daher auch keine Informationen über den Ort der Wunde.
Hier kommt die zweite Welle der Proteinaktivität ins Spiel. Sie trifft die Zelle etwas nach der Dichtewelle aufgrund der Verzögerung, welche die Proteine zur Aktivierung benötigen. Und weil die Proteinaktivität die Geschwindigkeit steuert, mit der sich die Zellen bewegen, erlaubt eine Verzögerung zwischen den beiden Wellen, dass sich die Zellen schnell bewegen, wenn sie in Richtung der Wunde gezogen werden, und langsam, wenn sie weggeschoben werden. Auf diese Weise können die Zellen die Symmetrie brechen und sich in die bevorzugte Richtung der Wunde bewegen.
Besonders auffallend war, dass die Verzögerung zwischen den beiden Wellen nahe am theoretisch vorhergesagten Optimum lag, das den Zellen zu erlaubt, aus den Wellen ein Maximum an Information zu gewinnen. Dieser Mechanismus der Selbstorganisation ist bemerkenswert, weil er eine robuste und spontane Kommunikation über große Entfernungen innerhalb der Zellschichten ermöglicht.
MEDICA.de; Quelle: Institute of Science and Technology Austria