Wer also wissen will, welche Gene zu welchem Zeitpunkt in einer Zelle aktiv sind, muss exakt bestimmen können, welche RNA-Moleküle jeweils unterwegs sind. Diese ermöglichen den Rückschluss auf das entsprechende Gen sowie das zugehörige Protein. Das entsprechende Verfahren gibt es bereits: Die sogenannte Hochdurchsatz-RNA-Sequenzierung. Ihre Entwicklung hat die biomedizinische Grundlagenforschung in den vergangenen zehn Jahren revolutioniert. Das Verfahren erlaubt es, gleichzeitig die Aktivitäten tausender Gene auf RNA-Ebene präzise zu bestimmen und so beispielsweise die im Rahmen von Erkrankungen auftretenden Veränderungen zu erkennen und besser zu verstehen.
Forscher der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) arbeiten jetzt daran, dieses Analyseverfahren zu verbessern und einer wirtschaftlichen Verwertung zuzuführen. Ihr Ziel ist die Entwicklung und Bereitstellung der dafür notwendigen Analyseplattformen. An dem Projekt beteiligt sind Prof. Lars Dölken, Inhaber des Lehrstuhls für Virologie, und Florian Erhard, Juniorprofessur für Systemvirologie am gleichen Lehrstuhl. Der Europäische Forschungsrat hat ihnen dafür einen ERC Proof-of-Concept-Grant genehmigt, der mit 150.000 Euro dotiert ist.
"T-GRAND-SLAM: Zeitlich hochauflösende Messungen zur transkriptionalen Aktivität von Zellen": So lautet der exakte Titel des Forschungsprojekts der beiden Virologen. Sie greifen dabei auf drei Verfahren zurück, die in den vergangenen zwei Jahren entwickelt wurden und die das zeitliche Auflösungsvermögen von Hochdurchsatz-RNA-Sequenzierungsverfahren substantiell verbessert haben. Das dahinter liegende Prinzip erklärt Dölken so: "Zellen in Kultur wird für kurze Zeit ein modifizierter RNA-Baustein zur Verfügung gestellt – das sogenannte 4-thio-Uridine (4sU) anstelle des normalen Uridin". Die Zellen nehmen das 4sU effizient auf und bauen es in alle neu transkribierten RNA-Moleküle mit einer Rate von etwa 1 in 50 ein.
Anschließend lassen sich die eingebauten 4sU-Moleküle chemisch in einen anderen RNA-Baustein umwandeln – in ein Cytosin. Im Rahmen der Hochdurchsatzsequenzierung der entsprechenden Proben können Wissenschaftler dann nicht nur Änderungen im Gesamt-RNA-Profil der jeweiligen Zellen für mehr als 10.000 Gene bestimmen. Anhand der beobachteten Tauschprozesse von 4sU-Molekülen zu Cytosin-Bausteinen können sie gleichzeitig auch noch den Anteil der "neuen" RNA-Moleküle anhand der Uridin- zu Cytosin-Austausche messen.
Mit ihrem 2018 zum Patent eingereichten Verfahren können die beiden Wissenschaftler so beispielsweise feststellen, wenn der Anteil aller neu gebildeten RNA-Moleküle in den ersten beiden Stunden einer Herpesvirusinfektion für ein bestimmtes Gen von 25 auf 75 Prozent ansteigt. In der Gesamt-RNA sind solche Änderungen in der Regel nach ein bis zwei Stunden noch nicht zu erkennen.
MEDICA.de; Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg