Dieses Muster haben praktisch alle eukaryontischen Zellen gemeinsam. Wie diese Verteilung zustande kommt, ist noch immer weitgehend unbekannt. Wissenschaftler um Irina Solovei vom Biozentrum der LMU haben nun in Kooperation mit Job Dekker (University of Massachussetts Medical School) und einer Gruppe Physiker um Leonid Mirny (Institute for Medical Engineering and Science, MIT) einen neuen Mechanismus entdeckt, der den überraschenden Schluss nahelegt, dass der "Normalzustand" des Kerns eigentlich die umgekehrte Verteilung von Eu- und Heterochromatin vorsieht. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature.
Es gibt zahlreiche Theorien, welche Mechanismen die Chromatinverteilung im Kern steuern. Bisher konnten diese Hypothesen jedoch keine schlüssige Antwort liefern, da es in normalen Zellkernen schwierig ist, die Interaktion der beiden Chromatintypen untereinander zu untersuchen, weil das Heterochromatin dort fest an die Kernhülle gebunden ist. "Wir haben für unsere Untersuchungen daher sogenannte inverse Zellkerne genutzt", sagt Solovei. Zusammen mit ihren Münchner Kollegen entdeckte sie diese Kerne vor etwa zehn Jahren bei nachtaktiven Säugetieren in bestimmten Photorezeptoren der Netzhaut, den sogenannten Stäbchen. Im Gegensatz zu konventionellen Kernen befindet sich bei ihnen das inaktive Heterochromatin im Zellkern-Inneren, während das aktive Euchromatin an der Peripherie liegt – eine einzigartige Ausnahme in der Natur. Wie sich in den Studien herausstellte, dient diese Heterochromatinansammlung im Inneren des Zellkerns als Mikrolinse und verbessert so die optischen Eigenschaften der Netzhaut nachtaktiver Säugetiere. In späteren Arbeiten zeigten die Wissenschaftler, dass in den Zellkernen dieser Stäbchen zwei Proteinkomplexe fehlen, die normalerweise das Heterochromatin an die Hülle des Zellkerns heften. Deshalb sammelt es sich in der Zellkernmitte.
Mithilfe einer Kombination moderner mikroskopischer und molekularbiologischer Methoden erstellten die Forscher nun Polymermodelle von Chromosomen und ganzen Zellkernen, mit deren Hilfe sie die Wechselwirkungen sowohl zwischen den Chromatintypen untereinander als auch mit der Kernhülle sowie deren Auswirkungen untersuchten. Dadurch konnten sie zeigen, dass allein die Wechselwirkungen zwischen heterochromatischen Regionen untereinander für die Trennung von aktiven und inaktiven Teilen des Genoms von zentraler Bedeutung sind. Interaktionen innerhalb euchromatischer Bereiche hingegen sind für diesen Prozess nicht ausschlaggebend.
MEDICA.de; Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München