Verschiedenste neurologische Komplikationen (akut, subakut oder chronisch verlaufend) wurden in den letzten zwei Jahren bei Menschen mit einer COVID-19-Erkrankung beschrieben ("Neuro-COVID“). Oft finden sich pathologische Befunde in der Bildgebung (CT, MRT), die aber nicht COVID-19-spezifisch sind, sondern typisch für die Art der Komplikation – meistens Gefäßkomplikationen (am häufigsten ischämische Schlaganfälle, aber auch Thrombosen, Blutungen etc.). Bei subakuten Störungen sind vor allem Mikroblutungen und Leukenzephalopathien nachweisbar, schwieriger oder oft gar nicht in der Bildgebung zu erfassen sind Korrelate von kognitiven Störungen.
Im Zusammenhang mit subakuten, kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen, deren Ursachen in frontoparietalen Gehirnbereichen (Stirn- und Scheitellappen) zu suchen sind, wurde von der Freiburger Arbeitsgruppe in der Positronenemissionstomographie (PET, genauer 18F-FDG PET) eine verminderte Glukose-Verstoffwechselung beschrieben. Als mögliche pathophysiologische Erklärung des Phänomens wurden im Gehirn von an COVID-19-Verstorbenen mikrostrukturelle Veränderungen mit Aktivierung von Mikroglia und Astrozyten gefunden. Auffällig war, dass die weiße Substanz, d. h. die Nervenzellfortsätze (Axone), davon stärker betroffen war als die graue, so dass die Hypothese aufgestellt wurde, dass eine Entzündungsreaktion der Nervenfasern der weißen Substanz die Funktion der angeschlossenen Hirnrindenbereiche (Neokortex/graue Substanz/Nervenzellkörper) beeinträchtigen könnte, was wiederum zu dem verminderten neokortikalen Glukosemetabolismus und den entsprechend lokalisierten kognitiven Störungen passen würde. Auf entzündliche Veränderungen der weißen Substanz, die in postmortalen Gewebeuntersuchungen beschrieben wurden, ergaben sich in bisher durchgeführten MRT-Studien keine Hinweise.
Um diese Lücke zwischen den zerebralen MRT-Befunden und der postmortalen Gewebeuntersuchung zu schließen, hat man in der aktuellen Studie die Mikrostruktur der weißen Substanz mittels DMI ("diffusion microstructure imaging“) dargestellt. Die DMI kann kleinste Volumenverschiebungen zwischen den unterschiedlichen Kompartimenten verschiedener Gewebe erkennen, wie beispielsweise in der weißen Substanz Flüssigkeit im intra- und extraaxonalen Raum sowie in perivaskulären Räumen. "Zusammenfassend konnten mit der DMI-Technik bei COVID-19-Betroffenen mit subakuten neurokognitiven Symptomen ausgedehnte Volumenverschiebungen zerebraler Flüssigkeit nachgewiesen werden, die im normalen MRT nicht sichtbar sind“, kommentiert Prof. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär und federführender Autor der Leitlinie "Neurologische Manifestationen bei COVID-19“. "Möglicherweise kommen dadurch weniger Signale in zugehörigen kortikalen Bereichen an, was zum verminderten Glukosestoffwechsel der Nervenzellen in der Hirnrinde und kognitiven Beeinträchtigungen führen könnte. Die Studie deutet darauf, dass kognitive Störungen bei COVID-19 strukturelle Ursachen im Gehirn zu haben scheinen. Prinzipiell sind diese reversibel. Hier sind nun Langzeitbeobachtungen notwendig, um den weiteren Verlauf zu beurteilen und mögliche Behandlungsstrategien zu überprüfen.“
PD Dr. Jonas Hosp, Freiburg, Letztautor der Studie, rät allerdings zur Vorsicht, wenn es darum geht, diese Ergebnisse auf Long-COVID zu extrapolieren: "Die Studie hat Patientinnen und Patienten im subakutem Stadium untersucht, die aufgrund der Krankheitsschwere stationär behandelt werden mussten und durch neurologischen Symptome auffällig wurden. Ob die hier festgestellten pathophysiologischen Prozesse auch für das Post-COVID-Syndrom eine Rolle spielen, muss sich erst noch zeigen. Beim Post-COVID-Syndrom ist die akute Infektion ja häufig milde und die Beschwerden treten mit einer gewissen Latenz zur Infektion auf.“
MEDICA.de; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.