"Die Tiefe Hirnstimulation kann bei psychischen Erkrankungen sehr wirksam sein. Anders als bei der Parkinson-Erkrankung, wo diese Behandlungsform inzwischen zum Standard gehört, ist die Tiefe Hirnstimulation bei der Zwangserkrankung den meisten Kolleginnen und Kollegen weitestgehend unbekannt. Dies gilt vor Allem für Psychiaterinnen und Psychiater sowie Psychologinnen und Psychologen, die in Unkenntnis der Chancen und Ergebnisse einer solchen Therapie oft ablehnend gegenüber stehen", sagt Prof. Dr. Volker A. Coenen, Ärztlicher Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er war gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, an dem Nature-Artikel beteiligt.
Die Autorinnen und Autoren des Artikels diskutieren die Hauptgründe für diese mangelnde Akzeptanz: Historische Bedenken im Zusammenhang mit überholten psychochirugischen Verfahren, Skepsis aufgrund vermeintlich geringer wissenschaftlicher Evidenz, mangelnde Wahrnehmung unter Psychiaterinnen und Psychiatern sowie Psycholginnen und Psychologen, Mangel an entsprechend qualifiziertem Personal für die Betreuung der Betroffenen, Einschränkungen in der Medizinprodukte-Zulassung, mangelhafte Kostenübernahme oder intransparente Entscheidungen durch Versicherungen, ungleiche Partnerschaften zwischen Industrie und Wissenschaft. "Für all diese Schwierigkeiten gibt es gute Lösungsvorschläge, die wir im Sinne der Patientinnen und Patienten dringend angehen sollten", sagt Schläpfer.
"Eine spezialisierte Versorgung der Betroffenen gelingt, wenn sowohl Fachleute für die psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung involviert sind wie auch ein spezialisiertes Team für Tiefe Hirnstimulation. Damit haben wir in Freiburg sehr gute Erfahrungen gemacht", sagt Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Sie ist Mitherausgeberin einer internationalen Leitlinie für die Behandlung der Zwangserkrankung, die auch die Tiefe Hirnstimulation mit einbezieht.
Im Mai 2022 hatten Schläpfer, Domschke und Coenen im Magazin Brain Stimulation eine Studie zur Therapie von Zwangsstörungen mit der Tiefen Hirnstimulation veröffentlicht. Die neun Patientinnen und Patienten litten im Schnitt 23 Jahre unter der Krankheit und andere Therapien waren erfolglos. Bei sieben Patientinnen und Patienten wirkte die Therapie auch ein Jahr nach dem Eingriff noch deutlich.
Die Tiefe Hirnstimulation wird seit Jahrzehnten erfolgreich zur Behandlung von Parkinson-Betroffenen eingesetzt. Auch bei Depressionen können zum Teil sehr gute Erfolge erzielt werden. Bei der Tiefen Hirnstimulation werden haarfeine Elektroden in einen bestimmten Bereich des Gehirns geschoben. Über ein dünnes Kabel sind sie mit einer Batterie im Brustraum verbunden. Durch regelmäßige schwache elektrische Impulse können krankhafte Aktivitäten der Hirnregion reduziert und in einen normalen Zustand gebracht werden.
MEDICA.de; Quelle: Universitätsklinikum Freiburg