In Österreich gibt es bislang zwei Pilotprojekte zur telemedizinischen Versorgung von Diabetikerinnen und Diabetikern: Eines davon heißt "Diabcare" und wird in Tirol angeboten. Österreichweit soll der "Gesundheitsdialog Diabetes mellitus" die Versorgungssituation verbessern. Das nationale Programm ist bislang nicht für alle in Österreich lebende Menschen mit Diabetes verfügbar, sondern wird nur für diejenigen zur Verfügung gestellt, die bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB) versichert sind. "Das ist grundsätzlich kein Nachteil, denn vor einem flächendeckenden Einsatz sollte geprüft werden, ob die telemedizinischen Versorgungsprogramme auch einen Nutzen haben. Indem die Pilotprojekte noch nicht für alle angeboten werden, sind umfassende vergleichende Evaluierungen möglich. Das heißt, es können Regionen, in denen die Programme umgesetzt wurden, mit solchen verglichen werden, in denen sie nicht implementiert wurden", erklärt Studienleiter Goetz.
Derzeit sind die für die beiden österreichischen Pilotprojekte entwickelten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) "DiabCare" und "DiabMemory" noch Insellösungen und müssen in erster Linie mit der Software der Ärztin oder des Arztes kompatibel sein. Eine Anbindung an die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) ist derzeit nicht möglich, sei aber geplant, heißt es im Bericht. Verbesserungsbedarf besteht dem Experten zufolge vor allem in der Definition der Zielsetzung und der Evaluierung der beiden Programme: "Die Ziele sind sehr breit und damit etwas ungenau formuliert. Für eine aussagekräftige Evaluation sind jedoch klare Zielsetzungen notwendig, die wiederum die Wahl der Messinstrumente bestimmen."
Ein weiteres Manko sieht der Experte darin, dass die Compliance, also die aktive Mitwirkung der Patientinnen und Patienten an den telemedizinischen Diabetesprogrammen, mit Drop-Out-Raten bis zu 40 Prozent relativ gering war.
Daneben gibt es derzeit in Österreich Bemühungen, einen transparenten Prozess für die Bewertung respektive die Erstattung von DiGAs zu konzeptionieren. "Hier ist es wichtig, dass die in der Zukunft zum Einsatz kommenden Kriterien und Anforderungen für eine breite Erstattung bzw. Implementierung (z. B. Datenschutz, Nutzenbewertung, etc.), ebenfalls für in telemedizinische Versorgungsprogramme eingebettete DiGAs zur Anwendung kommen", erklärt Goetz.
Für die Evaluation internationaler telemedizinisch-begleiteter Diabetes-Projekte konnten 20 Studien in 25 Publikationen identifiziert werden, in denen insgesamt 17 Endpunkte erhoben wurden. Die Endpunkte zielten darauf ab, etwaige medizinische, soziale und organisatorische Versorgungseffekte zu überprüfen. Die meisten Endpunkte wurden quantitativ erhoben, wobei vorrangig standardisierte Fragebögen zum Einsatz kamen.
Für die systematische Übersichtsarbeit zum Zusatznutzen telemedizinischer Versorgungsprogramme im Vergleich zur üblichen Diabetesversorgung wurden ausschließlich randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) berücksichtigt. Es zeigte sich dabei, dass es Anhaltspunkte für etwaige medizinische, soziale und organisatorische Versorgungseffekte gibt. So war etwa zu beobachten, dass manche telemedizinisch begleitete Versorgungsprogramme etwa mit einer Verbesserung der Lebensqualität, einer Erhöhung der Zufriedenheit/Akzeptanz mit der Diabetestherapie sowie mit einer Reduktion der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen einherging. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Versorgungseffekte stark kontextabhängig sind: Die organisatorischen Rahmenbedingungen der Versorgungsprogramme waren sehr heterogen (etwa im Hinblick auf Personal-Ressourcen, Schulungen, Coaching-Elemente).
Für die Weiterentwicklung der österreichischen telemedizinischen Versorgungsprogramme können diese Ergebnisse als Inspiration für eine konzeptionelle Verbesserung herangezogen werden. Hier ist jedoch eine sorgfältige Planung unter Berücksichtigung der Gesundheitskompetenz und IKT-Affinität der betroffenen Menschen angeraten, um die Compliance zu stärken.
Außerdem begnügt man sich in Österreich mit Beobachtungsstudien, die keine kausalen Schlüsse zum Nutzen telemedizinischer Versorgungsprogramme zulassen. "Dass aber RCTs auf Basis validierter Messinstrumente möglich sind, hat die Analyse internationaler Studien gezeigt", betont der Studienleiter. Wichtig sei außerdem, "dass die Zielsetzung vorab klar definiert ist und die verschiedenen Endpunkte wie etwa die Gesundheitskompetenz, die Lebensqualität, die Verbesserung des Selbstmanagements oder die Notwendigkeit einer Therapieanpassung mit bereits etablierten – sprich validierten – Messinstrumenten ermittelt wird", erklärt Goetz.
MEDICA.de; Quelle: Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH