Im Interview mit MEDICA.de sprach Prof. Klaus Zerres vom Institut für Humangenetik in Aachen über die Inhalte und Richtlinien des neuen Präsenzkurses sowie deren Rahmenbedingungen.
Herr Prof. Zerres, wie war es bisher möglich in der genetischen Beratung tätig zu werden? Warum muss jetzt eine 72-Stunden Kurs absolviert werden?
Prof. Zerres: Um in der Humangenetik spezielle Untersuchungen zu veranlassen, müssen Ärzte seit dem Jahre 2012 - laut Gendiagnostikgesetz - über eine spezifische Qualifikation hierzu verfügen. Bereits qualifiziert sind Fachärzte der Humangenetik und Ärzte, welche die Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik“ besitzen, alle anderen benötigen die Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung. Sie konnten diese bisher direkt durch eine erfolgreiche Teilnahme an einer Online-Wissenskontrolle, bestehend aus wenigen Multiple-Choice-Fragen erlangen. Diese Wissenskontrolle wird durch die Ärztekammern durchgeführt, sie erfüllt die Kriterien einer echten Prüfung jedoch in keiner Weise. Ab dem 11. Juli 2016 läuft die bisherige Übergangsregelung aus und es tritt eine neue Regelung für den Erwerb der Qualifikation in Kraft. Diese besagt, dass Ärzte, die nicht bereits fünf Jahre als Fachärzte tätig waren, diese Online-Wissenskontrolle nicht mehr durchführen können, sondern einen 72-stündigen Präsenzkurs besuchen müssen. Im Kurs sollen Ärzte so ausgebildet werden, dass sie Patienten umfassend zum Verfahren und zu eventuellen Problemen der genetischen Diagnostik beraten können.
Der Kurs soll sowohl aus theoretischen als auch praktischen Lerninhalten gestaltet werden. Welche Inhalte und Übungen werden den Teilnehmern zugeführt?
Zerres: Da das Gebiet der Humangenetik sehr breit ist, können die Themen auch in einem 72-Stunden Kurs nicht ausreichend vertieft werden. Dazu gehören die Grundlagen der Humangenetik, aber auch die vielen Problemfelder der genetischen Diagnostik, wie Indikationsstellung sowie Aussagekraft und Bedeutung genetischer Befunde. In Würzburg wurden bereits einige Kurse durchgeführt, neben der Wissensvermittlung in Vorträgen nehmen Diskussionen großen Raum ein. Dabei wird den Teilnehmern zum Beispiel die Frage gestellt, welche Gene bei welcher Fragestellung untersucht werden sollen. Im Prinzip Dinge, die bei der Aufklärung der Patienten auf jeden Fall vermittelt werden müssen. Es soll im Seminar praktisch die Situation wiedergegeben werden, der ein Arzt gegenübersteht, wenn er eine genetische Diagnostik veranlassen möchte, sodass er besser begründete Entscheidungen treffen kann. Zum Beispiel, wenn ein Patient mit einer Hörstörung wissen möchte, ob diese genetisch ist, sollte der eine Diagnostik veranlassende Arzt wissen, dass es Hunderte verschiedener Erbanlagen hierfür gibt und es nicht einfach ist, herauszufinden, welche Ursache dieser Hörstörung zugrunde liegt. Außerdem sollen Ärzte sich die Frage stellen, warum sie eine oft kostspielige genetische Diagnostik veranlassen und welche Konsequenzen sich für den Patienten hieraus ergeben können. Zum Beispiel, ob die Untersuchung Folgen für eine Familienberatung mit sich bringt, wenn sich herausstellen sollte, dass das Risiko einer Vererbung von Brustkrebs hoch ist. Patienten müssen im Vorfeld darüber aufgeklärt werden, welche Konsequenzen sich ergeben können, wenn eine Diagnostik durchgeführt wird. Der Kurs versucht, Ärzte für diese Themen zu sensibilisieren und mit elementaren Grundlagen hierzu auszustatten.