Im Interview mit MEDICA.de sprechen Prof. Ulrich Hegerl und Dr. Christian Sander über das STEADY-Projekt der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, das durch die Erhebung biologischer Parameter Menschen mit Depressionen dabei helfen kann, ihre Erkrankung besser zu verstehen und zu managen.
Herr Prof. Hegerl, Herr Dr. Sander, welches Problem adressiert das STEADY-Projekt, an dem die Stiftung Deutsche Depressionshilfe gemeinsam mit Ihren Partnern arbeitet?
Prof. Ulrich Hegerl: Es besteht heute ein großer Bedarf, die Versorgung von Menschen mit Depressionen zu optimieren. Immer mehr Menschen erhalten die Diagnose "Depressionen" – korrekterweise, denn früher wurden Depressionen häufig nicht erkannt und stattdessen körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen oder Tinnitus diagnostiziert, die damit einhergehen können. Es gibt aber nicht mehr Fachärzte oder Psychotherapeuten für diese Patienten und dadurch entstehen Versorgungsengpässe. Wir haben hier große diagnostische und therapeutische Defizite. Depressionen sind wahrscheinlich die Erkrankung mit dem größten Verbesserungsspielraum, weil sie so häufig sind, sich stark auf die Lebensqualität und die Lebenserwartung der Betroffenen auswirken und die guten Behandlungsmöglichkeiten nur so selten genutzt werden.
Mit dem STEADY-Projekt wollen wir das Selbstmanagement der Betroffenen stärken. Ziel ist der Aufbau eines Systems, über das Menschen mit Depressionen die vielen vorhandenen Daten über ihre Körperfunktionen, ihr Verhalten und die Umwelt verwalten und besser nutzen können.
Was für Parameter wollen Sie mit STEADY erfassen?
Hegerl: Wir produzieren über Smartphone und Wearables eine immer größere Menge an Daten über unseren Körper, über die Umwelt, über die Smartphone-Nutzung selbst und über Selbstratings auch über unser Befinden. In diesen Daten können wertvolle Informationen stecken, die für einen besseren Umgang mit der Erkrankung genutzt werden können. So verändert sich vor und während einer depressiven Krankheitsphase vieles am Verhalten der Betroffenen. Sie kommunizieren, sprechen, bewegen sich anders – das ist zwar bei jedem Einzelnen anders, aber es gibt bei fast jedem individuelle Veränderungen.
Unser Grundgedanke ist es, Daten unter anderem zum Schlafverhalten, zu Bewegung und Bewegungsmustern, zu Sprechgeschwindigkeit und -lautstärke, Herzrate, Hautleitfähigkeit und Handynutzung selbst systematisch zu erheben und den STEADY-Nutzern aufbereitet zur Verfügung zu stellen. Über Algorithmen soll dann im Zeitverlauf über Monate hinweg nach Zusammenhängen gesucht werden zwischen diesen Daten und Änderungen der Stimmung und des Antriebs, die die Nutzer im STEADY-System täglich selber einschätzen. Es geht also um longitudinale Analysen und nicht um den Gruppenvergleich Depressiver versus Gesunde. Der Einzelne soll lernen, mit Hilfe dieser Daten besser mit seiner Depression umzugehen.