Damit vom Blut keine Schadstoffe oder Krankheitserreger ins Gehirn gelangen, sind die Blutgefäße des Gehirns mit sogenannten Endothelzellen ausgekleidet: Sie bilden die Blut-Hirn-Schranke. "Diese Zellschicht kann man sich wie einen Filter vorstellen, der das Gehirn vor Gefahren schützen soll. Das ist wie bei einem Hochsicherheitsbereich, in den nicht jeder hineindarf", erläutert Fava, Forscher am DZNE-Standort Bonn und Leiter der "Core Research Facilities & Services". "Medikamente gegen Hirnerkrankungen müssen deshalb so maßgeschneidert werden, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so im Gehirn wirken können."
Tests der Durchlässigkeit – Fachleute sprechen von Permeabilität – spielen deshalb bei der Entwicklung von Medikamenten gegen Hirnerkrankungen eine zentrale Rolle. Ziel solcher Analysen ist es, vielversprechende Substanzen im Labor zu identifizieren, lange bevor klinische Studien am Menschen stattfinden. Solche Untersuchungen werden auch Screening genannt. Bei dieser Frühphase der Wirkstoffentwicklung setzt das Verfahren der Bonner Forschenden an. "Wir sind der Ansicht, dass unser Ansatz die Blut-Hirn-Schranke besser nachahmt als viele derzeit verwendeten Verfahren. Das ermöglicht realistische Vorhersagen zur Aufnahmefähigkeit von Wirkstoffen durch das Gehirn", so Fava. "Unsere Methode ist speziell auf entzündungshemmende Wirkstoffe zugeschnitten. In den letzten Jahren hat sich nämlich herausgestellt, dass Entzündungsprozesse bei neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Alzheimer eine maßgebliche Rolle spielen."
Einsatzpotenzial für die neue Screeningmethode gäbe es sowohl in der Wissenschaft als auch in der Pharmaindustrie, meint der DZNE-Forscher: "Die Anwendung geht über Permeabilitätstests von Wirkstoffen hinaus. Manche Hirnerkrankungen beeinträchtigen die Blut-Hirn-Schranke. Mit unserem Modellsystem kann man solche Krankheitsvorgänge an der Grenze zwischen Blutkreislauf und Gehirn nachbilden und untersuchen."
Das Verfahren umfasst im Wesentlichen zwei Stufen. Zunächst wird der zu prüfende Wirkstoff in wässriger Lösung durch eine technische Vorrichtung geleitet, die die Filterfunktion der Blut-Hirn-Schranke nachahmt. Anschließend wird eine Probe hinter dem Filter entnommen und geprüft, ob der Wirkstoff die Barriere durchdrungen hat. Die entnommene Flüssigkeit wird dazu auf eine Zellkultur menschlicher weißer Blutkörperchen gegeben. "Diese Immunzellen dienen als Sensoren", erläutert der Molekularbiologe Dr. Sven Fengler, der an der Entwicklung des neuen Screeningverfahrens maßgeblich beteiligt war. "Wenn die Flüssigkeit, die von unserer Filterapparatur stammt, entzündungshemmende Stoffe enthält, wird die klassische Immunantwort der weißen Blutkörpern gehemmt. Ist der Wirkstoff nicht vorhanden, kommt es zu einer normalen Immunreaktion."
MEDICA.de; Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)