Eine weitere Hypothese des Wissenschaftler-Konsortiums: Die Blut-Biomarker können möglicherweise auch bei der Vorhersage helfen, ob bei Personen ohne oder mit nur sehr leichten kognitiven Defiziten künftig eine kognitive Verschlechterung oder sogar Demenz eintreten wird. Dafür werden neben den Proteinmarkern auch noch genetische Risikofaktoren berücksichtigt. Um dieses Verfahren zu entwickeln, werden die Forschenden im Rahmen des Programms DESCARTES vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 1,935 Millionen Euro gefördert.
"Wir können für unser Projekt auf mehr als 3.000 Blutproben aus verschiedenen Kohortenstudien zurückgreifen“, sagt Prof. Dr. Anja Schneider, die das Projekt am DZNE leitet: "Die Kohorten beinhalten kognitiv gesunde Personen, die im weiteren Verlauf über viele Jahre gesund geblieben sind oder sich in Richtung einer Demenz weiterentwickelt haben. Darüber hinaus haben wir Kohorten mit an Alzheimer Erkrankten in unterschiedlichen Stadien sowie Kohorten von Patienten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen.“. Diese Proben bilden jetzt die Grundlage für die Arbeit ihres Teams: Die Forschenden analysieren im Blut mehrere Proteine (Amyloid ß42 und ß40 und phosphoryliertes Tau ), die mit dem Auftreten einer Alzheimer-Erkrankung in Verbindung stehen. Zugleich untersuchen sie das Neurofilament Leichte Kette (NFL), das mit Nervenschädigungen assoziiert ist. Darüber hinaus berechnen sie anhand von genetischen Informationen aus dem Blut einen sogenannten polygenen Risiko-Score – einen rechnerischen Wahrscheinlichkeitswert für das Auftreten einer Alzheimererkrankung.
Mit diesen Analysen der Blutproben beginnt in dem neuen Projekt allerdings erst die Arbeit. Im Vordergrund stehen zwei Fragen. Erstens: Wie zuverlässig lassen sich Blutproben auf Biomarker hin untersuchen – vor allem. wenn sie nicht unter hoch standardisierten Bedingungen in universitären Forschungszentren abgenommen wurden, sondern in Hausarztpraxen? Und zweitens: Welche der ermittelten Blutbiomarker sind – möglicherweise auch in Kombination miteinander – am zuverlässigsten, wenn es um die Diagnose der Alzheimer-Erkrankung und die Vorhersage des späteren Auftretens einer Alzheimer-Demenz geht? Der daraus ermittelte kombinierte Marker soll die Basis für individualisierte Diagnostik und Therapie bilden.
"Bislang werden Blutproben von Alzheimerpatienten in Gedächtnisambulanzen genommen, wo sie schnell prozessiert und auf Trockeneis oder minus 80 Grad eingefroren werden“, erläutert Anja Schneider. Dank dieses hohen Aufwands sind die Ergebnisse möglicherweise besonders zuverlässig. In Hausarztpraxen allerdings gibt es diese Möglichkeit üblicherweise nicht; von dort werden die Proben bei Raumtemperatur an Labors versandt. Wie aussagekräftig sind in solchen Proben die Blutbiomarker? Das ist eine der Fragen in der Studie.
Dank der guten Datengrundlage können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach präzisen Antworten suchen: Aus den über viele Jahre hinweg gesammelten Langzeitdaten lässt sich feststellen, wer von den anfänglich gesunden Menschen anschließend erkrankt ist. Es lässt sich feststellen, bei wem die Alzheimer-Erkrankung welchen Verlauf genommen hat. Die Forschenden können also rückwirkend untersuchen, wie die spätere Krankheitsentwicklung mit welchen Biomarkern aus den ganz am Anfang genommenen Blutproben korreliert.
Für Patientinnen und Patienten, bei denen es den Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung gibt, wäre ein Blutbiomarker eine große Erleichterung. Mit seiner Hilfe könnte man möglicherweise sogar auf invasive Verfahren wie die Nervenwasseruntersuchung ganz verzichten oder zumindest diejenigen identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von dieser Untersuchung profitieren. Sollten einmal Therapien zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung vorliegen, die anders als bei den bereits in Deutschland zugelassenen Therapien die Ursachen der Erkrankung bekämpfen, werden diese sicherlich sehr früh beginnen müssen. Auch dafür könnte ein blutbasierter Test eine wenig invasive Methode darstellen, um mögliche Erkrankte zu identifizieren.
MEDICA.de; Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)