Wie lässt sich damit eine potenzielle Überlastung der Gesundheitssysteme vorhersagen?
Klawonn: Insgesamt halte ich die Datenlage nur für bedingt ausreichend, um wirklich gute Prognosen zu erstellen. Trotzdem lassen sich mit statistischen Verfahren und Modellen sehr gut Tendenzen erkennen. Das ist insbesondere deswegen so wichtig, weil Maßnahmen erst mit einer Verzögerung von frühestens ein bis zwei Wochen auf das Infektionsgeschehen erste Wirkungen zeigen. Für die intensivmedizinische Situation ist dieser Zeithorizont noch viel länger. An Covid-19 erkrankte Personen, bei denen eine intensivmedizinische Behandlung oder gar eine Beatmung erforderlich ist, benötigen häufig eine sehr lange Behandlung, bis sie auf eine Normalstation verlegt werden können oder – im ungünstigsten Fall – verstorben sind. Das bedeutet, dass sich die Intensivstationen auch nach einem harten Lockdown erst einmal weiter füllen und noch eine längere Zeit eine hohe Auslastung aufweisen werden.
Wie muss mit den Ergebnissen Ihrer Forschung umgegangen werden? Welchen Handlungsbedarf sehen Sie?
Klawonn: Ich beschäftige mich mit den direkten Auswirkungen der Corona-Pandemie, also unter anderem Infektionszahlen, benötigte Intensivbetten, Mortalität und Seroprävalenz. Forschungsergebnisse zu diesen Faktoren sollten von der Politik berücksichtigt werden – was sie auch tut. Am Ende müssen aber alle Aspekte, mit denen sich andere intensiver beschäftigen als ich, in die politischen Entscheidungen einbezogen werden. Dazu zählen zum Beispiel die Auswirkungen auf Wirtschaft, Schulen und Kitas mit allen Konsequenzen für Kinder und Eltern, Untersuchungen und Operationen, die aufgrund von vorgehaltenen Intensivbetten verschoben werden, psychosoziale Aspekte und vieles mehr. Die Politik muss diese Bausteine zusammensetzen, gewichten und schließlich die richtigen Entscheidungen treffen. Ich bin froh, dass ich diese Verantwortung nicht tragen muss, und habe zu wenig Expertise in den nicht-medizinischen Gebieten, um ganz konkrete Handlungsmaßnahmen zu empfehlen.