Welches Feedback erhalten Sie von den Nutzern?
Fischer: Insgesamt ein extrem gutes. Der Mixed Reality Viewer eröffnet Chirurgen neue Dimensionen in der OP-Vorbereitung. Chirurgie hat viel mit dreidimensionalem Denken zu tun und Chirurgen sind sehr geübt darin, auch aus zweidimensionalen Bildern eine gute Vorstellung vom Operationsfeld zu bekommen. Die 3D-Modelle unterstützen den Prozess.
Speziell jüngere Chirurgen mit wenig Erfahrung haben davon einen großen Nutzen. Aber auch erfahrenere Chirurgen profitieren davon bei besonders komplexen Fällen wie Schädelbasis-Tumoren, kranialen Aneurysmen, Traumafrakturen oder im Bereich der Gefäßchirurgie. Im Herbst 2020 wurde in Kalifornien sogar die Trennung siamesischer Zwillinge mit dem Mixed Reality Viewer vorbereitet. Das war eine sehr komplexe OP, an der über 24 Stunden rund 30 Personen beteiligt waren.
Auch die Lehre profitiert. Nachwuchschirurgen brauchen Jahre und hunderte von OPs, um wirklich gut zu werden. Die Lernkurve, sagen uns viele Chirurgen, kann mit MR deutlich steiler verlaufen. Die Komplexität der dreidimensionalen Strukturen im Körper wird besser greifbar und transparenter als mit Lehrbüchern oder dem Zuschauen bei OPs.
Welche Trends sehen Sie in der Entwicklung von MR-Anwendungen in der Chirurgie?
Fischer: Ich denke, ihre Bedeutung in der Lehre wird wachsen. Studierende werden viel weniger mit Körperspenden arbeiten und sich stattdessen virtuelle Modelle ansehen.
Der nächste Schritt wird es sein, Mixed Reality auch in den OP zu bringen. Hier sind verschiedene Anwendungen denkbar. Eine sehr vielversprechende Anwendung ist es, die präoperativen Bilddaten über den Patientenkörper zu legen, um dann mit MR in den Patienten quasi hineinzuschauen. Langfristig werden Bildschirme als Informationsquelle im OP an Bedeutung verlieren. Stattdessen könnten wir einen Großteil von ihnen durch MR-Brillen ersetzen.
Weitergedacht kann man sich vorstellen, dass verschiedene Personen im OP über ihre eigene Brille auf verschiedene personalisierte Inhalte zugreifen. Während der Chirurg Bildinformationen sieht, werden beispielsweise für die OP-Assistenz Instrumente markiert oder beschriftet, um Verwechslungen zu vermeiden.
Außerdem wird das Thema Kollaboration stark an Bedeutung gewinnen. Innerhalb der Vorbereitungsphase können Chirurgen Modelle mit ihren Kollegen besprechen – und das ortsunabhängig, sowohl in einem anderen Krankenhaus als auch einem anderen Land. Es könnten aber auch während des Eingriffs mit einem Experten außerhalb des OPs die nächsten Schritte besprochen werden. Die Modelle sind generell als Diskussionsplattform sehr gut geeignet, ganz besonders auch in interdisziplinären Besprechungen.