Deep Learning Image Reconstruction – wie KI im Klinikalltag aussieht
Deep Learning Image Reconstruction – wie KI im Klinikalltag aussieht
Interview mit Felix Güttler, Kaufmännischer und Technischer Leiter, Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Jena
02.09.2019
Künstliche Intelligenz ist in der Medizin längst keine Zukunftsmusik mehr. Viele Studien und erste Anwendungsbeispiele zeigen, dass sie zum Teil bessere Ergebnisse erzielt als der menschliche Mediziner. Am Universitätsklinikum Jena ist die Arbeit mit KI bereits gelebte Praxis. Als weltweit erste Einrichtung setzt es Algorithmen in der radiologischen Routine ein, um CT-Bilder zu rekonstruieren.
Felix Güttler, Kaufmännischer und Technischer Leiter am Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie im Universitätsklinikum Jena
Im Interview mit MEDICA.de erklärt Felix Güttler, warum Ärzte die Unterstützung intelligenter Systeme heute dringend benötigen, wie der Einsatz von KI im Klinikalltag bereits aussieht und wie er in Zukunft noch aussehen könnte.
Herr Güttler, inwiefern gibt es im klinischen Alltag, vor allem im Bereich der bildgebenden Diagnostik, heute Verbesserungsbedarf?
Felix Güttler: Durch die rasante Entwicklung und Verbesserung der verschiedenen Gerätetechnologien steigen die Aussagekraft und der Stellenwert radiologischer Untersuchungen für die klinische Diagnostik. Wir erleben dadurch einen ungebrochenen Aufwärtstrend bei der Zahl der Untersuchungen und zudem einen Zuwachs bei den Bilddaten pro Patienten. Um dieser wachsenden Informationsflut entgegentreten zu können benötigen wir intelligente Systeme, die eine Analyse der Bilder erleichtern und den Arbeitsaufwand in einem durch die Ärzte zu bewältigenden Maß halten.
Der Arbeitsaufwand in der Radiologie wächst. Kann KI hier helfen?
Um dem steigenden Arbeitsaufwand gerecht zu werden, setzen Sie seit Kurzem Künstliche Intelligenz in der radiologischen Routine ein. Was zeichnet diese aus?
Güttler: Wir setzen KI am Uniklinikum Jena an mehreren Stellen ein, neuerdings für die Bildrekonstruktion in der Computertomographie (CT). Hier nutzen wir seit April dieses Jahres, als erste Einrichtung weltweit, die sogenannte Deep Learning Image Reconstruction (DLIR) in der breiten klinischen Routine. Dadurch sind wir in der Lage, das Bildrauschen in CT-Daten erheblich zu reduzieren und somit eine deutlich verbesserte Bildqualität zu erreichen. Die dem zugrundeliegende KI basiert auf einem sogenannten Deep Neural Network (DNN). KI-Systeme, die als Medizinprodukt zugelassen werden, lernen in der Regel während Ihres Einsatzes nicht mehr dazu. Dies ist hilfreich, um ein korrektes und reproduzierbares Verhalten sicherstellen zu können. Aus dem trainierten DNN wird quasi ein Algorithmus erzeugt. Die Neuronen einer KI werden für ein bestimmtes Anwendungsfeld trainiert und dann für den Einsatz "eingefroren".
Sie verwenden eine Technologie von GE Healthcare. Was ist das Besondere daran?
Güttler: Aus meiner Sicht ist GE bei dem Thema DLIR für die CT aktuell führend. GE konnte als erstes Unternehmen im April 2019 eine als Medizinprodukt zugelassene Lösung am Markt präsentieren. Besonders war aber zu diesem Zeitpunkt nicht nur die Einzigartigkeit, sondern auch die Form des Trainings der KI bei GE. Dieses erfolgte nicht nur auf Basis von bereits mit iterativen Verfahren bearbeiteten Daten, sondern auf nicht nachträglich veränderten und damit grundlegend korrekteren Bildinformationen. Das Vertrauen in den technischen Ansatz und in die erzeugten Bilder war daher von Beginn an sehr hoch. Bei der Etablierung eines grundlegend neuen Verfahrens war dieses Vertrauen sehr wichtig.
ASiR-V-Aufnahme der Aorta
FBP-Aufnahme der Aorta
DLIR-Aufnahme der Aorta
Welche Erfahrungen konnten Sie in den vergangenen Monaten mit dieser Technologie sammeln?
Güttler: Es wurde für uns relativ schnell klar, dass wir mit DLIR einem weltweiten Umbruch bei den Rekonstruktionsverfahren in der CT entgegensehen. Grob kann man sagen, dass wir gegenüber den aktuell verbreiteten iterativen Rekonstruktionsverfahren ein um circa 50 Prozent geringeres Bildrauschen messen können. Zudem verbessert sich aber auch die Geschwindigkeit der Bildrekonstruktion erheblich. Ein großes Potenzial sehen wir künftig auch für die Reduktion der Dosis. Bei einzelnen Untersuchungen konnten bereits Einsparungen zwischen 30 und 80 Prozent erreicht werden.
Wir sind bisher wirklich positiv beeindruckt und setzen kaum noch iterative Verfahren ein. Positive Effekte sehen wir bei einer Vielzahl von Fragestellungen. Beispielsweise verbesserte DLIR bei einem immungeschwächten Patienten mit dem Verdacht auf atypische Pneumonie auch ohne Lungenfilter die Kontrastauflösung deutlich. Bei einem Verdacht auf Schlaganfall reduzierte DLIR Bewegungsartefakte, sodass eine sicherere Beurteilung der Region möglich wurde. Dies sind nur einige wenige Beispiele.
KI ist zwar schneller, aber nicht besser als der Mensch.
Erledigt die KI den Job also besser als ein Mensch? Welche Aufgaben müssen nach wie vor von menschlichen Radiologen ausgeübt werden?
Güttler: Die KI leistet in diesem Fall keine medizinische Arbeit. Insofern werden die Aufgaben des Radiologen weiterhin vollständig von Radiologen gelöst. Diese können dafür aber nun auf bessere Bilddaten zugreifen und eventuell schneller und sicherer zu einer Diagnose kommen. Von generalistischen KI-Systemen, wie wir sie vielleicht aus Science-Fiction Filmen kennen, sind wir noch sehr weit entfernt. Momentan haben wir bei der KI hochspezialisierte Anwendungen, die uns als Werkzeug zur Lösung eines Problems dienen.
Wie in anderen Branchen auch hat KI das Potenzial, bestimmte Prozesse zu automatisieren, und damit einher geht auch ein Wandel in der Berufswelt. Dennoch: Ich bin davon überzeugt, dass KI Mediziner, wie zum Beispiel in der Radiologie, nicht verdrängen wird. Stattdessen wird KI ihre Arbeitsrealität verbessern, indem beispielsweise Abweichungen schneller erkannt, Patientenanliegen oder mögliche Krankheitsbilder automatisiert und priorisiert angezeigt oder bestimmte Routineaufgaben vollständig von der KI ausgeführt werden. Ich denke ganz banal ausgedrückt: Dort, wo es um das Patientenwohl, eine Entscheidung über die Diagnose oder eine Behandlung geht, wird der Mensch immer die Kontrolle haben.
Wie sehen Ihre weiteren Vorhaben bezüglich der Implementierung von KI in den klinischen Alltag aus?
Güttler: Wir sehen nicht nur Vorteile in der "Pixel-KI", wie bei der Bildoptimierung. Besonderes Potenzial hat auch die Anwendung von KI im Management von Arbeitsabläufen. Damit lassen sich beispielsweise Wartezeiten optimieren, Geräte optimal auslasten oder die Terminplanung automatisieren. Ganz besonders arbeiten wir momentan daran, eine herstellerunabhängige Plattform für KI-Systeme für die Radiologie am UKJ zu etablieren, um nicht in einer bestimmten Systemlandschaft gefangen zu sein, sondern mit einem Partner zu arbeiten, der es ermöglicht, auch Fremdprodukte, zum Beispiel von Start-ups, zu integrieren.
Der Einsatz von KI im Allgemeinen birgt für die Medizin aber noch viel mehr Möglichkeiten. Denken Sie beispielsweise an eine intelligente Steuerung der Bettenauslastung in einem Krankenhaus oder den automatischen Abgleich von bestimmten Krankheitsbildern, zu denen hunderte oder tausende von Datenpunkten vorliegen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten zum Beispiel die Terminplanung voll automatisieren oder routinemäßige Kontrollmessung von der KI übernehmen lassen. Für den Patienten stehen unter dem Strich: Vereinfachte Prozesse, eine schnellere Behandlung, die auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist und mehr Zeit mit dem behandelnden Arzt.
Das Interview wurde geführt von Elena Blume. MEDICA.de