In Deutschland wird besonders oft über die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Daten gestritten. Welche Hürden sehen Sie hierzulande noch?
Dr. Thiel: In Deutschland fehlte bis zu diesem Jahr eine strategische Ausrichtung für die digitale Gesundheit, was ein großes Hindernis darstellte. Es fehlt immer noch eine Vision darüber, warum Daten genutzt werden und welchen Einfluss sie haben sollen. Verschiedene Anwendungen wurden in Silos entworfen und wurden von oben nach unten gesteuert, was zu Lösungen führte, die nicht der Realität der Nutzenden entsprachen.
Der geplante Opt-out-Ansatz für die elektronische Patientenakte (ePA) ist positiv, aber ein niedrigschwelliger Zugang und die Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzenden sind entscheidend. Gesetzliche Bestimmungen sind vorhanden, jedoch bleibt die Suche nach (finanziellen) Anreizen für die flächendeckende Umsetzung von Lösungen eine große Herausforderung. Auch die Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitssystems, die verschiedene Interessengruppen mit Vetorecht umfasst, kann leicht zu Blockaden führen.
Es wird interessant sein zu sehen, ob die gematik als die vorgesehene nationale digitale Agentur eine Vision entwickeln und eine nationale, zentralisierte Herangehensweise mit allen relevanten Akteuren koordinieren kann. Bei empirica verfolgen wir diese Entwicklungen aufmerksam.
Wie kann – allgemein gesprochen – eine bessere Balance zwischen Innovation und Implementation beziehungsweise Regulation hergestellt werden?
Dr. Thiel: Angesichts des Tempos, mit dem Innovationen voranschreiten, ist es unerlässlich, Sicherheit und Effektivität durch angemessene Regulierung zu gewährleisten, die Innovation ermöglicht. Es ist eher eine Frage nach einer "besseren" Regulierung als darum, sie in großem Maße zu verschärfen. Die Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Akteurinnen und Akteure in der Branche hören und auch international schauen und lernen. Die Ausrichtung der fördernden (politischen) Seite, der Nachfrage und des Angebots ist eine große Herausforderung. Die Erleichterung einer solchen Ausrichtung ist ein Schwerpunkt des von uns bei empirica koordinierten EU-geförderten Projekts "Digital Health Uptake (DHU)".